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Allgemein:
Die Eröffnungswoche des Festivals
Ciboulette, Opera Stabile
Faust, Theater Altes Heizkraftwerk
Romantische Erkundungen, Thalia
Fools in love, Monbijou-Theater
Interlude, Brotfabrik
Schuld und Sühne, Globe
Ocaña, Königin der Ramblas; Neuköllner Oper
Die Große Reise, Theater Anu
Circus Berlin Festival
Fatique, Sophiensäle
Mycellium, Haus der Berliner Festspiele
Non human dances, HAU 1
The Voice, Sophiensäle
Ein von Schatten begrenzter Raum, Thalia
Sommergäste, Brotfabrik
Boca Cova, Sophiensäle
Brief an den Vater, Garntheater
Besser werden, Lichthof
Bruder Norman, EDT
Als wäre es gestern gewesen, Thalia
Reparation Nation, Kampnagel
Yol oder ein Zebrastreifen geht Sonne suchen, Thal
Fifty and one Shades of Meryem, Thalia
Odyssee oder das Kalypsotief, EDT
Faust, Gretchen, Fraktur, Thalia
m Herzen tickt eine Bombe, Fleetstreet
The Disappearing Act, HAU 2
Wo bist du nur? Das fragen sich mit dem Lied von Neşet Ertaş: „Neredesin Sen“ nicht nur die Angehörigen von Familie Satir und Turhan in Erinnerung an ihre Angehörigen. Ferdane Satır (40), drei ihrer Kinder und drei Kinder der Familie Turhan wurden in der Nacht vom 26. auf den 27. August 1984 durch einen Brandanschlag in Duisburg aus dem Leben gerissen.
Liebeslieder zum Gedenken an die Opfer von rechter und rassistischer Gewalt hat Ayşe Güvendiren in ihrer Inszenierung „Als wäre es gestern gewesen“, zu einer Feier der Erinnerung, der Liebe und der Mahnung arrangiert. Im Laufe des Abends werden die Fotos von Menschen auf die hölzernen Umzugskisten projiziert, die sich auf den Weg nach Deutschland gemacht hatten, um mehr Sicherheit zu finden. Man hört sowohl unbekannte, verdrängte wie noch erinnerte Geschichten. So erinnert sie an den ersten rassistischen Anschlag im wiedervereinten Deutschland: Am 23. November 1992 starben im schleswig-holsteinischen Mölln drei Türkinnen. Auch die eher vergessenen Vietnamesen Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân, die in einer Hamburger Flüchtlingsunterkunft lebten, kamen durch einen Anschlag ums Leben. Theodoros Boulgarides und Enver Şimşek stehen stellvertretend für die zahlreichen NSU-Opfer. Nicht nur in Amerika gibt es Polizeigewalt, auch in Deutschland: Mouhamed Dramé, ein unbegleiteter Flüchtling, wurde von der Polizei erschossen. Seiner gedenken die Vier auf der Bühne auch.
Die Musik geht direkt ans Herz. Das liegt auch daran, dass die drei Schauspieler:innen Antoinette Ullrich, Larissa Voulgarelis und Leonard Burkhardt die Lieder zusammen mit dem Musiker Torsten Knoll voller Empathie, Warmherzigkeit und Hingabe in der jeweiligen Originalsprache interpretieren. Das Coaching der perfekten Aussprache war Teil der Erarbeitung des Abends.
Die Regisseurin wollte die Opfer in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellen. Und zwar nicht mit ihrem Sterben sondern mit ihrem Leben, aus dem sie gerissen wurden. Sie hat dazu im Vorfeld mit allen Hinterbliebenen gesprochen und nach Erinnerungen und Liedern gefragt, die sie mit ihren ermordeten Angehörigen verbinden. Der Abend lebt von diesen durchweg sehr gefühlvollen Liedern, die in ihrer projizierten Übersetzung fast wirken, als wären sie direkt für diesen Abend umgetextet worden. Da ist von dem Schmerz der Trennung, von der Grausamkeit der entstandenen Lücke, von dem verflossenen Glück und von der großen, nie vergehenden Liebe die Rede. Wenn dann noch in „ Sağım Yalan Solum Yalan“ von der allgegenwärtigen Lüge, von den überall verbreiteten Unwahrheiten die Rede ist, passt das haargenau auf die für die Angehörigen traumatisierenden Ermittlungen zum Beispiel nach dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße, die auch das Opfer Simsek zu einem Täter machen sollten. Ein Muster, das an diesem Abend leider nicht nur einmal erkennbar wird. Genau durch diese ganz dezente und doch passgenaue Konzeption dieses Abends, der so klein und unaufgeregt als Feier des Lebens und der Liebe daherkommt, liegt seine Kraft, die die Zuschauer:innen auch beim Hamburger Gastspiel im Rahmen des Nachbarschaft-Festivals in der Gaußstraße zum Schluss von den Stühlen riss und dem Ensemble mit Standing Ovations für den warmherzigen und bewegenden Abend dankte.
„Aus Worten wurden Taten. Lautes Schweigen überall“. Diese Worte der Holocaust-Überlebende Esther Bejarano am Schluss hallen besonders heutzutage noch lange nach.
Birgit Schmalmack vom 28.9.24