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Direkt aus den Druckfahnen heraus treten die Personen in dieser besonderen Interpretation des "Faust" auf. Die Papierbahnen mit Goethes Text bilden mal neue Räume, mal die Projektionsfläche für ein Schattentheater und mal schlicht die Vorhänge zum Wechseln der Kostüme. Durch diese Kulisse schlurft Faust zu seinem Lehnstuhl neben der Stehlampe. Immer wieder kommen Menschen in weißen Kitteln herein und nehmen ihn behutsam bei der Hand. Denn dieser Faust leidet unter Demenz. Der so kluge und umfassend gebildete Wissenschaftler hat seine geistigen Fähigkeiten weitgehend eingebüßt und ist auf die Hilfe der Anderen angewiesen. Doch als er den Bund mit Mephisto eingeht, kehren seine Kräfte wieder zurück und aus dem altersschwachen Faust (Hans Hansen) entsteht der junge Faust (Jarno Scukup), der sich voller Energie in die Abenteuer stürzt, die Mephisto für ihn bereit hält. Der Verjüngte begegnet der unschuldigen Gretchen, reitet mit Mephisto durch die Walpurgisnacht und versucht Gretchen nach ihrer Verurteilung aus dem Gefängnis zu befreien.
Ist das alles also nur ein Hirngespinst eines dementen Faust? Alles nur eine Ausgeburt seiner Fantasie, durch die er noch einmal jung wird? Dank seiner starken Hauptdarsteller gelingt es Diehl trotz des traumhaften Rahmens die tiefe Überdrüssigkeit und Perspektivlosigkeit des doppelten Fausts fühlbar werden zu lassen. Sowohl der alte Faust wie der junge geben dessen Verzweiflung Ausdruck, alles akribisch studiert und dennoch keinerlei tiefere Erkenntnis über das, was die Welt zusammenhält, gewonnen zu haben. Dabei, so hofft er, könnte ihm der gerissene Mephisto dienlich sein. Der soll ihm genau diese Einblicke in die Zusammenhänge jenseits der Wissenschaft vermitteln. Und ihn direkt in die Welt der Emotionen bringen. Man kann sagen: Mephisto erfüllt seinen Auftrag.
In der großen leeren Fabrikhalle mit den hohen Decken und den freien Räumen kann sich die fantasievolle und eigenwillige Inszenierung von Regisseur und Intendant Thorsten Diehl perfekt entfalten. Hier hat er genügend Platz für eine Bergwanderung auf einer Landschaft auf Pappkartons, für ein Kasperltheater und sogar eine Showeinlage auf der Galerie.
Georg A. Geck als Mephisto ist ein so präsenter Schauspieler, dass man ihm gerne genau wie Faust auf den Leim geht. Doch auch Faust ist kein willenloses Opfer. Er weiß genau, was er von seinem Teufelchen, von seinem Geist, der stets das Gute will und doch das Böse schafft, erhalten möchte. Zusammen bilden sie ein gutes Gespann, das zu immer neuen Gefühls-Abenteuern aufbricht. Umgeben von allerlei dienstbaren Geistern wie Hexen, Irrleuchtern und Musikern, die in der Theaterhalle zudem noch Platz finden. Gretchen (Ramona Pautz) nimmt man ihre Unschuld, Naivität und Unbedarftheit in jedem Moment ab. Als sie, die keineswegs den gängigen Schönheitsidealen entspricht, vom Lieschen auf den Stepper gescheucht wird und dabei eine sehr unbeholfene Figur macht, ist das eine ironische Randbemerkung der Regie, die aber die Dramatik von Gretchens Schicksal keineswegs mindert. Was dann in den grandiosen Schlussmonolog mündet, den Diehl in dieser Fassung mit dem Eingangsmonolog von Faust verschneidet. So fließen die beiden Verzweifelten ineinander, ohne dass sie sich gegenseitig erlösen können. Das hat man selten so berührend gesehen.
Spätestens mit dieser Inszenierung hat Diehl sein nicht mehr ganz so neues und dennoch immer noch zu entdeckendes Theater im Alten Heizkraftwerk zu einer Adresse werden lassen, die man als Theater-Interessierte auf dem Schirm haben sollte.
Birgit Schmalmack vom 22.7.24
Abbildung: Faust - Theater Altes Heizkraftwerk
ndr |
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