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Interlude, Brotfabrik

Zugfahren ist der Idealzustand

Zugfahren ist Verweilen und Bewegung in einem, konstatiert Mel. Entscheidungen sind nicht so ihr Ding. Sie praktiziert eine ständige Aneinanderreihung von Zwischenspielen. Diese Haltung bezieht sich bei ihr nicht nur auf Orte, auf Familie sondern auch auf Beziehungen. "He is cude as a pie", sagt sie zu ihrer Freundin über ihren derzeitigen Bettgefährten, dennoch ist sie nicht bereit für etwas Längeren. So stürzt sie sich lieber in One Night Stands, bei denen sie den Namen der Person neben sich im Bett meistens jedoch einfach nicht relevant findet.
Das Konzept "Café" dagegen überzeugt sie ihr in ihrer Lebenshaltung sehr. Dort kann sie ihren Kaffee genießen, unter Leute dennoch allein sein und einfach verweilen. Diesen Zustand kennt sie sonst nur von Aufenthalten am Meer. Deswegen trägt sie zur Erinnerung daran ein kleines Eimerchen mit Sand mit sich herum. Damit kann sie nicht nur bei passenden Gelegenheiten den Inhalt zu einem kleinen Sandturm umstürzen, den ihr nächstes Date dann einfach kaputt trampelt, sondern sich auch bei Bedarf ein kleines Sandbett für ein kurzes Strandgefühl ausschütten. Prima, wenn dazu jemand anderes auf der Bühne mit einer mit Wasser gefüllten Flasche und aufgemaltem Wellenmuster die Illusion von Meeresrauschen perfektioniert.
Doch ist Gehen tatsächlich so einfach, wie Mel sich stets vormacht? Wäre Bleiben nicht manchmal die bessere Alternative?
Mels Selbstgespräche werden zum Spiegel einer Suche nach etwas, von dem sie selbst noch nicht weiß, was es sein soll. Sie spürt die Ameisen der Unruhe in jedem Zustand; beim Bleiben und beim Gehen. Ankommen, geht das überhaupt? Wäre eine ständige Bewegung als Lebensantriebskraft nicht viel besser?
Auf der fast leeren Bühne in der Brotfabrik steht ein kleines Wurfzelt. Auf ihm sieht man zu Beginn als Projektion eine junge Frau ausgelassen tanzen. Die große Freiheit auf kleinem Raum? Alle vier Darsteller:innen tragen einen schwarzen Surfanzug als Grundausstattung. Den können sie mit den Accessoires von der Wäscheleine je nach Rollenwechsel verändern. Mit einem Schal wird so die eine zur Psychiaterin, der andere mit einer Schürze zum Kellner oder die Dritte mit einem Käppi zum Kumpanen oder mit einem Buch zur Reisebegeleiterin.
Regisseurin Lea Reinhardt, die auch den Text geschrieben hat, ist ein schnelles, lebensnahes Stück gelungen, das sie zusammen mit ihrem Team mit wenigen Mitteln gekonnt umgesetzt hat. Ihr Text spießt liebevoll Gedanken und Dialoge auf, die bekannt vorkommen und dennoch keinem Klischee entsprechen. Besonders Mona Schäfer als Mel sticht durch ihre sprechende Mimik heraus, die auch viel ausdrückt, wenn sie keinen Text hat. Sie ist zu recht das Zentrum des Stückes. Die drei anderen Darsteller:innen (Sophie Witt, Helena Houssay, Leander Rennecke) dienen ihr als jeweiliges Kurzzeit-Gegenüber oder ihre Stimmen im Kopf, die ihr bei ihrer in Dauerschleife befindlichen Selbst-Hinterfragung die Stichwörter zuflüstern.
Auch wenn diese Fragestellungen zunächst besser zu einer Generation der Twenty-Somethings wie den Mitwirkenden zu passen scheinen, die sich gerade in der Orientierungsphase befinden, soll es auch Menschen geben, die diese Lebenshaltung zu einem Dauerkonzept erwählt haben. So hält dieses kurzweilige Stück viele Fragen und keinerlei Antworten für alle bereit, die auf der Suche waren bzw. sind oder sich zumindest die Neugier auf das Fragenstellen erhalten haben.
Kurz vor Schluss krabbeln alle Vier zusammen in das winzige Zelt. Mel ist mal wieder an einem Punkt angekommen, an dem sie nicht weiter weiß. Da helfen ein Aneinanderkuscheln und eine Vergewisserung der Gemeinschaft, aber bitte nur kurz. Denn Mel will ja weiter...
Birgit Schmalmack vom 27.7.24

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