Eine Königin ohne Land


Im Herbst 2019 konnte die Intendantin des Monsun-Theaters Francoise Hüsges anlässlich ihres inklusiven Theaterfestivals „aussicht“, das sie schon 2017 ins Leben gerufen hatte, die tolle Nachricht verkünden, dass ihr Theater umgebaut werden würde. Bereits zur dritten Ausgabe des Festivals sollte es ein „Theater ohne Barrieren“ sein. Doch es kam leider anders, und nicht nur bedingt durch die besonderen Umstände des Jahres 2020. Eineinhalb Jahre später führt Hüsges mich durch die still gelegte Baustelle ihres Monsun Theaters.
Wir treffen uns im Hinterhof, der verlassen daliegt. Der Rundgang startet in dem Teil, der als einziger schon fertig gestellt ist. Die Toiletten glänzen nicht nur durch eine neue Raumaufteilung mit einer Rollstuhl gerechten WC-Kabine, dunkelgrünen edlen Kacheln sondern auch durch ein neues Abwassersystem, das das alte, das immer wieder versagte, ersetzt. Doch genau hier begannen auch die ersten Schwierigkeiten. Die Besitzerin des Restaurants, das im Erdgeschoss liegt, war gegen die Sanierung der gemeinsam genutzten Toiletten. „Dabei beklagte sie sich genau wie wir immer wieder, dass sie nicht zuverlässig funktionierten“, erzählt Hüsges Kopf schüttelnd.
Wir steigen gemeinsam die schmale Treppe zum Theater hinauf. Nun heißt es über Kabelrollen, Baueimer und entfernte Bohlenbretter zu steigen. Ihr Blick fällt auf den Boden. Sofort zückt sie ihr Handy und macht ein Foto. „Die Kabelrollen liegen völlig ungeschützt“, erklärt sie mir. Mittlerweile weiß sie: „Dann knicken sie ab und sind unbrauchbar. Das muss ich dokumentieren und melden." Wir werfen einen kurzen Blick ins ehemalige Foyer, das nicht betretbar ist, dann geht es ins frühere Büro. Hier wird ein weiterer Grund für den derzeitig verhängten Baustopp sichtbar. Dunkle Deckenhölzer, die mit einem weißlichen Überzug belegt sind, werden sichtbar. "Völlig morsch", konstatiert Hüsges. "Die können nichts mehr tragen. Doch das ist schon seit Mai 2020 klar und erst im Februar 2021 haben sie angefangen daran zu arbeiten."
Wir gehen die Treppe wieder herunter und biegen im Flur rechts zur ehemaligen Probebühne ab. Auch hier sind große Teile in Baufolie eingehüllt, doch im hinteren Teil steht noch der Bühnenaufbau für ihr letztes Stück "Filetstücke". Man erkennt die transparenten Bühnenwände, das Baufolienkleid der "Königin ohne Land" und das Equipement für die hybride Aufführungsform. "Die Königin ohne Land, das bin ich", erklärt Hüsges. In dem Stück hat sie ihr Umbauprojekt direkt zum Thema gemacht. In ihm geht es um „die Räume für Träume", die Hüsges für ihr Publikum, ihre Künstler*innen und ihre Projekte erschaffen wollte. Zuerst noch gemeinsam mit ihrem Architekten, der parallel sein eigenes „Traumprojekt“ plante und baute. Dass dieses bald seine ganze Aufmerksamkeit absorbieren würde und er so für das Hamburger Projekt zu einer Leerstelle in der Planung wurde, ist ein weiterer Umstand, der Hüsges zu der Aussage veranlasst: „Wir hatten ungewöhnlich viel Pech bei unserem Umbau.“ Bevor nicht geklärt ist, wie der Rechtstreit mit dem Restaurant ausgeht, wie groß der Schaden ist, wer ihn fachgerecht beseitigen könnte und wer die Mehrkosten tragen soll, steht alles still. Dabei kämpft Hüsges unermüdlich dafür, dass alles kommuniziert wird, was ihr zur Verfügung steht. „Denn ich bin die Zuwendungsempfängerin, ich trage die Verantwortung. Ich soll der Stadt Zahlen liefern, damit sie weiter planen kann, doch ich kann nur die Zahlen liefern, die ich bekomme." Und die fehlen ihr.
Wir gehen raus auf den Hof und die Außentreppe hinauf zum eigentlichen Theatersaal. Hüsges warnt vor den Tauben, die mittlerweile statt der Künstler*innen das unbespielte Areal übernommen haben. Zahlreich haben sie sich auf dem Dachvorsprung eingerichtet und unübersehbar alle Flächen mit ihren Hinterlassenschaften versehen. Oben im großen Saal in der ersten Etage stapeln sich die in Folie eingehüllten Bühnenutensilien. Der ehemalige Theaterraum wirkt noch höher als erinnert, denn die Techniketage, von der aus das Licht, der Ton und der Sound geregelt wurden, wurde komplett entfernt. Auch die Hälfte der Lüftungsanlage ist nicht mehr da. "Die sollte im Zuge der Bauarbeiten auf den neusten Stand gebracht werden." Das Geld dafür hatte Hüsges vom Bund beantragt, bekam es auch bewilligt, doch nun kann sie es nicht abrufen, weil die Bauarbeiten stocken. Sie fürchtet, dass es dazu zu spät sein könnte, wenn das Dach endlich repariert ist. "Das kommt mir manchmal vor wie Beamten-Mikado", scherzt Hüsges dazu. Doch ein wenig Hoffnung gibt es nun. Vor sieben Wochen bekam sie endlich das OK der Stadt, sich einen Sachverständigen an ihre Seite zu holen, der nun ihr hilft einen Überblick über die nächsten Schritte zu bekommen, um mit dem Eigentümer des Gebäudes und der Stadt in weitere Beratungen und Verhandlungen zu gehen.
Dennoch hat die umtriebige engagierte Theaterleiterin, die das Monsun-Theater 2015 von Ulrike von Kieseritzky übernommen hatte, schon wieder zahlreiche Pläne für neue Produktionen im Kopf. Mehrere Förderanträge für große Inszenierungen hat sie schon für ihr Theater bewilligt bekommen. "Das brauche ich auch für meine Psyche. Wenn ich nicht ab und zu Kunst machen könnte, würde ich ganz die Hoffnung verlieren. Ich hoffe, dass wir vielleicht etwas davon im Herbst hier oben im Saal umsetzen können, vorausgesetzt die Stadt stimmt zu. Wunderbare Toiletten hätten wir ja auf jeden Fall zu bieten."
Hüsges wollte das älteste Off-Theater Hamburgs zukunftsfähig machen. "Doch nun weiß ich nicht mehr, ob das je gelingen wird. Im Moment gibt es keine Perspektive. Wollen sie dieses Kleinod direkt in diesem Stadtteil etwa sterben lassen? Aber das liegt nicht in meiner Hand. Das entscheiden andere." Soviel ist sicher, sie wird weiter kämpfen für ihr kleines, großes Hinterhoftheater im Herzen von Ottensen.
Birgit Schmalmack vom 10.5.21




Stillstand Die Intendantin Hüsges in dem Theatersaa des monsun.theaters, das zurzeit eine Baustelle ist.


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Wie geht es den Theaterschaffenden in Berlin?