Meri, Paul, der Fremde und ich
Leben ins Wilhelmsburg
Der Fremde platzt einfach in die Erzählrunde hinein. Er braucht Geschichten, die seine Erstarrung auflösen können. Da ist er bei Meri, Paul, Nuray und Sedat genau richtig. Sie haben genug Geschichten für ihn und die vielen anderen Zuhörer parat, die ins Nachdenken bringen können.
Wie ein orientalischer Salon ist die Garage im Thalia in der Gaußstraße hergerichtet. Tee und Kekse werden jedem Besucher gereicht. Auf Orientteppichen und weichen Kissen darf man Platz nehmen und lauschen. Heute sind die Jugendlichen aus Wilhelmsburg die Gastgeber für ihre vielen Zuhörer. Sie erzählen von ihrem ganz persönlichen Alltag mit ihrer Religion.
Der junge Mann steht minutenlang vor der Treppe in seiner Schule und mag nicht in die Klasse gehen. Schule ist für ihn Stress. Die Moschee ist dagegen eine Ruheoase, die sein Herz erwärmen kann. Ein Mädchen berichtet von der Unterdrückung ihrer Mutter, die sie ihren Kindern unbedingt ersparen wollte, als sie mit ihnen nach Deutschland kam und sich von deren Vater scheiden ließ. Ein anderes Mädchen fühlt sich bei ihrer Fahrt in der U-Bahn angestarrt. Sie ist sich sicher: Ihre Kabel, die unter ihrem Kopftuch hervorluken, hält die Frau ihr gegenüber bestimmt für die Zündungskabel einer Selbstmordattentäterin. Von den anderen Mitspieler wird sie hinterher gefragt: Woher weißt du, was die Frau gedacht hat? Sie zuckt die Schultern: Keine Ahnung, nur so ein Gefühl...
Gegenseitige Vorteile werden hier hinterfragt. Die beiden Moderatoren Nuray Anil und Sedat Tas leiteten dabei charmant durch den Abend. Die Regisseurin Christiane Richers berichtete von ihrer Arbeit mit den Jugendlichen. Die Diskussion im Anschluss zeigte einige der Fragen, die den Zuhörern im Kopf herumgingen. Warum tragt ihr ein Kopftuch? Braucht der Islam nicht eine zeitgemäße Neuinterpretation? Warum heiratet ihr nur untereinander? Die Zuschauer trauten sich in der gemütlichen familiären Atmosphäre Fragen zu stellen. Ein gelungener Abend, der Erstarrungen in den Vorstellungen lösen könnte.
Birgit Schmalmack vom 5.2.10
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