Kleiner Mann, was nun?
Kleine Hoffnungsträger in der Krise
In der grellbunten Welt der Hauptstadt Berlin ist der „kleine Mann“ Pinneberg gelandet. Vom Lande kam er mit seiner Frau Emma in die Großstadt, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Doch auch hier findet er sich bloß als „Hemdkragenproletarier“ wieder. Wo vorher ein patriarchaler Chef seine Arbeit kontrollierte, tut das jetzt ein Supervisor. Wieder werden die Kollegen untereinander schnell zu Konkurrenten, denen die Solidarität fern und das eigene Hemd nah ist.
Zusammen mit seinem „Lämmchen“ (Franziska Hackl) kämpft sich Pinneberg (Dominic Oley) durch seinen unsicheren Alltag. Schließlich gilt es den kleinen Murkel zu versorgen.
Regisseur Gil Mehmert hat wieder einmal einen ganz eigenen Zugriff auf einen bekannten Stoff gefunden. Vor einer schrillen Comic-Fassade (Steffi Bruhn) mit tätowiertem Mann in den Straßen eines Rotlichtmilieus versetzt er den Roman von Hans Fallada „Kleiner Mann, was nun?“ aus dem Berlin der späten 1920ziger Jahre in die heutige Hauptstadt. Das erscheint logisch, denn die Krise damals und heute weist Ähnlichkeiten auf, die den Text aktueller denn je machen. Er schneidet ihn in kurze Szenen und bereichert ihn um Musicalelemente. Die Band (Alexander Geringas, Dirk Hoener, Matthias Pantel) sitzt mit auf der Bühne und springt bei Bedarf als Schauspieler ein. Genau so wie die vielseitig einsetzbaren Peter Franke und Nina Petri, die jeder mindestens vier Rollen verkörpern. Immer wieder erklingt ein alter Song, passend zum Handlungsverlauf.
Die Comic-Fassade begrenzt den Spielraum der Schauspieler stark. Doch diese Beschränkungen scheint Mehmerts Fantasie nicht eingeschränkt zu haben: Er nutzt die wenigen Requisiten gleich geschickt mehrfach: Der kleinen Koffer, die Lämmchen und Pinneberg mit auf ihre Reise nach Berlin nehmen, dienen ihnen zugleich als Suppenschüssel, Computer, Abwaschbecken u.a. In die orangenen Plastiktüten werden die verkauften Anzüge für die Kunden gesteckt. Sie symbolisieren aber außerdem den Verkaufsdruck, der auf Pinneberg lastet. Am Morgen werden sie den Verkäufern in dicken Ballen als zu erreichendes Soll in die Hand gedrückt. Mit zwei kleinen Kissen lehnen sich die Eheleute zum Schlafen im Stehen an die bemalte Holz-Wand und können so alle Stellungen und Stimmungen ihres Ehelebens bestens für die Zuschauer sichtbar zeigen. Diese Fülle von Ideen voller Ironie und Humor zeichnen diese liebvolle Inszenierung aus. Sie macht aus einem mausgrauen, traurigen Absteiger-Text eine bunte, von Zuversicht getragene Liebesgeschichte. Folgerichtig intoniert Peter Franke ganz romantisch zum Schluss: “There was a boy, wandered very far, just to love and be loved.“ So wird die Liebe zum Hoffnungsträger selbst in der Krise.
Birgit Schmalmack vom 24.4.09




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Ein Chor irrt sich gewalti1
Kontrollverlust