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Wir haben der Tatsache ins Auge zu blicken: Entweder man leide irgendwann an einer chronischen Krankheit oder wir sterben früh. Also werden wir alle irgendwann einmal die Staatsbürgerschaft wechseln müssen, wie Susan Sonntag es ausdrückte: Statt den Pass des Landes der Gesunden hätte man dann den des Landes der Kranken. Das sei das gemeinsame Schicksal aller Menschen. So hört man zu Beginn des Abend im Worx aus dem Off.
Welche Mythen und Vorurteile mit diesen Zugehörigkeiten verbunden sind, erkundet Malin Lampeter in ihrer Werkhaus Inszenierung am BE. Sie hat sich dazu den Stoff der Kameliendame vorgeknöpft, diese Geschichte einer wunderschönen Kurtisane, die an Tuberkulose erkrankt und gleichwohl kein bisschen an ihrer Schönheit einbüßt. Mit ihr zieht sie auch den jungen Armand in ihren Bann, der hofft, sie mit seiner Liebe zu heilen.
Sie schickt ihr Dreier-Team auf eine lila-rot-pink-schimmernde Showbühne in deren Mitte zwei Halbkriessegmente, die mit rotem Samt bezogen sind, zu immer neuen Formen arrangiert werden. Sie werden zur Schaukel, zum Bett, zum Kletterelement, zur Rutsche oder zum Versteck. Lampeter kontrastiert die Geschichte von Marguerite und Armand mit eigenen zeitgenössischen Erfahrungsberichten von Chronisch Erkrankten und freshen Songs (Fabian Kuss), die eine ironisierende Ebene darüber legen. So changiert ihre Arbeit zwischen berührendem Drama, launiger Show und schwarzhumoriger Satire.
Die drei Schauspieler:innen teilen sich den Text des Erzählers auf und schlüpfen dabei immer wieder in die ein oder andere Rolle. Wenn Charlotte Thomson die Marguerite spielt, ist sie die Schöne, die mit ihren zahlreichen Liebhabern flirtend spielt. Wenn Lisa Birke Balzer in die Rolle der kranken Kurtisane schlüpft, wird sie eher zur arroganten Diva, die stets die kritische Distanz zu den Männern behält. Yannick Fischer ist ein Armand, der fest an seine große Liebe, die seine Geliebte retten soll, glaubt und sich immer treu bleibt.
Dass dies scheitert, ist von Anfang an klar, denn Lampeter rollt die Geschichte vom Ende her auf. Armand erwirkt eine Umbettung seiner toten Geliebten, um sie ein letztes Mal zu sehen. Er durfte sie gegen seinen Willen nicht bis zu ihrem Ende begleiten. Se hatte sich von ihm getrennt, nachdem Armands Vater sie um diesen Liebesdienst gebeten hatte, um die Zukunft seines Sohnes nicht zu ruinieren.
So endet dieser Abend viel beschaulicher als er begonnen hatte, nämlich mit den verlesenen Tagebucheinträgen und nicht abgeschickten Briefen an Armand, die zum Ende überall auf der Bühne verstreut auf der Erde herumliegen.
Das Dreier-Team auf der Bühne ist die Versehrung anzusehen, ihre Kostüme bestehen aus Mullbinden, die nur unzureichend ihren Körper bedecken und so ihre Ungeschütztheit offenlegen. Die Drei spielen mit viel hintergründigem Spaß mit der traurigen Geschichte. Sie schaffen es genau an der Grenze zwischen Witz und Ernsthaftigkeit zu balancieren. Dieser Abend wechselt ständig gekonnt zwischen verschiedenen Emotionsfarben und Betrachtungswinkeln in und her. Traurig, witzig, doppelbödig, informierend, kommentierend und klamaukig. Durch einen Licht-, einen Positions- oder Haltungswechsel auf der Bühne wird die Ebene fast ohne Übergang gewechselt und dennoch verliert man nie den Überblick. Vorkenntnisse der Geschichte von Dumas sind nicht erforderlich.
Die Erwartung speziell an Frauen, selbst im Tod eine gute Performance hinzulegen, zumal auf der Bühne, wird in dieser Inszenierung mit viel Humor hinterfragt. Ebenso die Vorurteile, dass doch Kranke selbst Schuld an ihrer Krankheit seien, weil sie einfach einen schlechten Lebensstil pflegten. Nur damit man sich der zu Beginn zitierten Tatsache nicht stellen muss und sich noch eine Zeit lang in Sicherheit wiegen kann, man würde von dieser Unausweichlichkeit verschont bleiben, weil man eben alles richtig macht und auf Dauer Staatsbürger:in im Land der Gesunden bleiben wird.
Birgit Schmalmack vom 21.10.24
Abbildung: Kameliendame, BE - © Moritz Haase
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