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Es riecht nach Fisch. Es plätschert Wasser. Es brennen Kerzen auf Sand neben riesigen Knochen. Wir tauchen ein in die Welt der indonesischen Lamalera- Bewohner:innen, die noch ganz nach den Traditionen ihrer Ahnen leben. Sie sind auf die See angewiesen um zu überleben, genauer gesagt auf den Fischfang. Wenn sie einen Wal vor ihrer Küste erblicken, ist das für sie ein Geschenk Gottes. Wenn er ausbleibt, führen sie das auf ihre Sünden zurück und fühlen sich bestraft. Sie nutzen keine technischen Hilfsmittel der Moderne, sondern erlegen die Wale ausschließlich mit ihrer Muskelkraft durch eine Harpune, die sie unter Lebensgefahr auf das riesige Tier werfen. Ihre Boote manövrieren sie nur mit Hilfe von Segeln und Rudern. Denn ihr Fischfang ist nicht auf Wachstum und Gewinn ausgerichtet, sondern dient einzig ihrer eigenen Ernährung. Wenn einer der jagenden Männer auf See bleibt, glauben sie daran, dass er zu einem Wal wird. So ist der Kreislauf der Natur für sie der Maßstab ihres Lebens.
Dennoch mischen sich natürlich für westliche Besucher der Show „Ocean Cage“ beim Anschauen der dokumentarischen Filmaufnahmen der Inselbewohner:innen die breit rezipierten Forderungen von Naturschützern, die ein weltweites Walfangverbot durchsetzen wollen, um diese intelligenten Tiere zu schützen. So wirbt der Regisseur und Bildende Künstler Tianzhuo Chen mit seiner Arbeit für eine differenziertere Haltung. Man könnte sagen, dass er den Spieß umdreht und die westliche Massentierhaltung, die Schlachtung und Konsumierung von tierischen Produkten als die eigentlich barbarische Praxis erscheinen lässt, da sie sich die Frage nach dem Sinn nicht mehr stellt. Hier geht es nicht ums Überleben sondern größtenteils um Luxus.
Um diesen spirituellen Raum aufzumachen, hat Chen mehrere Mitstreiter auf der Bühne. Im Zentrum des installativen Abends, den die Zuschauenden frei durchschreiten können, steht der Tänzer Siko Setyanto , der mit seiner intensiven meditativen Choreographie den Kontakt zu den Menschen in der Halle sucht. Er folgt seinen Ritualen und scheint ganz versunken in den spirituellen Erfahrungen dieser alten Kultur. Er durchschreitet mehrere Charaktere. Zuerst trägt er eine Netzmaske über dem Gesicht, dann zieht er sie herunter und zeigt einen Schlangenkopf auf der Stirn, überlange Ohrläppchen, Tieraugen und ein blutunterlaufenes Gebiss. Zum Schluss zeigt er sein menschliches Gesicht, tritt in Verbindung zum Wal und wird schließlich zum Sun-moon-god, der zur Sonne betet. Ihn begleiten dabei die drei Musiker:innen Kadapat und Nova Ruth auf ihren traditionellen Instrumenten, die sie elektronisch verstärken.
Der dramaturgische Höhepunkt in dem sich fließend, intuitiv und meditativ entwickelnden Abend ist das Auftauchen eines lebensgroßen Pottwals, der sich von der Decke entfaltet. Er schwimmt in wiegenden Bewegungen durch die Halle, direkt vor den Zuschauenden. Wie der kleine Mensch Siko mit ihm in Kontakt zu treten versucht, macht die Gefährlichkeit dieser Begegnung deutlich. Doch der Tänzer wird seinen zunächst erhobenen Speer sinken lassen und darauf verzichten, das Tier zu töten. Stattdessen schreitet er dem Gott der Sonne entgegen und betet ihn an. Dieser Abend widmet sich dem Gefühl. Wer sich auf diese ganz andere Vorstellungswelt einlassen mochte, ging um eine Erfahrung reicher aus der K6 und musste sich selbst der Frage stellen, wie weit der herablassende westliche Blick gerechtfertigt ist.
Birgit Schmalmack vom 18.11.24
Abbildung: Ocean cage, Kampnagel - Camille Blake