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Schubladen, She She Pop
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30 Vorurteile von 32 bestätigt
„Meine Mutter war ein Atheist.“ „Stop: Erkläre, warum nicht Atheistin?“ Schon an den Endungen mancher Wörter entsteht Erklärungsbedarf, wenn Ost und West tagt. An ihren drei Bürotischen sind die drei Ostfrauen (Wenke Seemann, Annett Gröschner, Alexandra Lachmann) und die drei Westfrauen (Johanna Freiburg, Nina Tecklenburg, Ilia Papatheodorou) zusammengekommen, um ihre unterschiedliche Sozialisation voreinander auszubreiten. Auf Bürosessel kurven sie immer wieder zu den Schubladen am Bühnenrand, in denen sie ihre Erinnerungsstücke verwahren. Immer höher werden die Bücherstapel, Schallplatten- und Musikkassettensammlungen, die sie den anderen vorstellen. Da trifft ganztätige Säuglingskrippe auf wohlbehütete Umsorgung in der mütterlichen Wohnstube. Da treffen frühkindliche Doktorspiele auf Aufsparung des „Es“, bis der Richtige gefunden ist. Da begegnet der soziale Erfolg der gesellschaftlichen Arbeit einer Brigadeführerin. Immer wieder ruft einer der Sechs: „Stop, erkläre, definiere bitte!“ So muss über jeden der Begriffe „Kapitalismus“, Kommunismus“, „Emanzipation“ oder „Pazifismus“ einzeln verhandelt werden. Aus bürgerlichen Eltern werden im Nu Kapitalisten. Die Friedenskettenteilnehmerin wird zur verkappten Faschistin. Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten: Über Kati Witt können sich Nina aus West und Wenke aus Ost allerdings gleichermaßen begeistern. Auf ihren Bürostühlen legen sie einen ausgefeilten Eistanz hin bis zur Pirouette in der Waagerechten hin. Ost-Alexandra versuchte sich ebenso wie West-Nina seit frühester Kindheit an durch Bravsein anzupassen. Erstere aus Gründen der besseren Tarnung, letztere aus Gründen der Belohnung durch Barbiepuppen. Während die direkte Auseinandersetzung zwischen Ost und West höflich und sachlich geführt wird, darf bei den Wessis und der Ossis unter sich kräftig getratscht werden. Bei Wokda oder Prosecco wird kräftig über die andere Seite hergezogen. Hier stellt man fest, dass die Westfrauen allesamt überbehütet, aber underfucked seien, während die Ostfrauen unterbehütet aber overfucked seien. Als stimmungstragend erweisen sich die Funde aus dem jeweiligen Plattenschränken. Cindy und Bert, John Lennon kommen ebenso zu Geltung wie die Ostgruppe Lift, bei der man eher zwischen den Zeilen lesen muss. Lauthals singt die Auflegende ihr Lied mit. Ebenso abrupt dreht ihr eine andere den Saft ab. Erinnerungen werden bei auch den Zuschauern wach. Eine der Frauen hat garantiert Erlebnisse und Erinnerungen, die auch die eigene Biographie bestimmten, angesprochen. Die politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge werden erkennbar und die unterschiedlichen Prägungen werden verständlich. She She Pop schafft es wieder einmal in einem Tonfall zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit in dem Biographischem das Allgemeingültige erkennbar zu machen. Ein zugleich vergnüglicher, unterhaltsamer und erkenntnisreicher Abend. Birgit Schmalmack vom 30.3.12
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Zur Kritik von
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Alles Narziss und die Revolution
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