Im Ausnahmezustand
Gated community
„Das Tor muss geschlossen bleiben. Das ist die wichtigste Lehre, die ich dir beibringen kann“, versucht die Mutter ihrem Sohn verständlich zu machen. Der nickt nur und fragt dann, ob er noch kurz raus gehen könne.
So bleibt sie alleine mit ihrem Mann in ihrem schicken, hoch exklusiven Wohnzimmer sitzen. Nur der digitale Kamin soll ein wenig Wärme vortäuschen. Die kubische graue Sitzgarnitur und der polierte schwarze Glasflächen an Wänden und Boden können keine vermitteln. Auch die Ehepartner haben sicher schon intimere Momente miteinander geteilt. Jetzt bestimmt Misstrauen ihr Verhältnis. Die Frau hat Angst – Angst vor Abstieg aus ihrer schwer erkämpften Position am oberen Ende der Erfolgsleiter. Sie hat sie hierher geführt in eine gated community, die einen Rundum-Wohlfühl-Sicher-Service verspricht. Der Zaun schützt sie vor den „anderen“, vor dem „draußen“. Dieses malt sie sich in apokalyptischen Farben aus: Sie sieht brennende Wagen, tote Hunde, erschlagene Kinder vor sich. Sie meint diese Bilder auf den Videos der Überwachungskameras zu erkennen. Doch sie kann keine Zeichen am nächsten Tag am tatsächlichen Ort keine Anzeichen vorfinden. Werden die Bilder manipuliert, wohlmöglich sogar von ihrem eigenen Sohn?
Das Misstrauen ihrem Ehemann gegenüber gründet sich auf einen anderen Verdacht: Er bringt in seinem Beruf keine Leistung mehr. Seine Erfolgskurve hat nachgelassen. Und genau die ist die Eintrittskarte in diese hehre Gesellschaft, die sie auf keinen Fall verlassen will. So wird die Frau zum Spitzel ihres Sohnes und ihres Mannes.
Bibiana Beglau und Bruno Cathomas spielen die beiden eindrucksvoll. Beglau kann sekundenschnell von der grazilen, weiblich schmeichelnden Ehefrau zur schneidend dominanten Inquisitorin mutieren. Cathomas ist sehr überzeugend in seiner Verkörperung des in die Jahre gekommenen, tapsigen, gutmütigen Alleinverdieners, der den Überblick in seinem Leben verloren hat, den aber das dumpfe Gefühl beschleicht, dass seine Meinung hier sowieso nie gefragt war.
Regisseur Falk Richter denkt in seinem Theaterstück, das er selbst in der Schaubühne inszeniert hat, heutige Entwicklungen konsequent zu Ende. Er malt Schreckenvisionen in einer für ihn typischen Überdeutlichkeit an die schwarz glänzenden Wände.
Birgit Schmalmack vom 14.4.09




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Der einsame Weg
Baal