Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs „Ich bin ein Apple Jünger.. Ich glaube an Apple. Ich liebe Apple.“ Immer wieder läuft Patrick Heppt zu dem grauen Apfelkissen, das von der Decke hängt, und knuscht es verliebt ab. Doch eine große Ent-Täuschung steht ihm bevor, als er eines Tages auf seinem neuen Iphone Fotos von den Produktionsstätten in China findet. Er beginnt zu recherchieren und kommt hinter die wohl gehüteten Geheimnisse der Herstellung der so gehypten Marke. Heppt treibt unter der Regie von Matthias Kuhlmann vom Theater Lübeck eine Mission um, das spürt man in jedem Moment seiner mitreißenden Performance über die "Agonie und die Ekstase des Steve Jobs". Er entlässt seine Zuschauer nicht mit einem überaus verdienten, abschließenden Applaus sondern mit den beunruhigenden Bilder eines Performers, der sich in der Wiederholungsschleife des zunehmenden Wahnsinns des Konsumzwangs befindet.
Drei Tage in der Hölle Immer müssen sie rechnen um ihren Alltag zu überstehen. Das ganze Leben besteht aus einer Aneinanderreihung von Zahlen, die sich ständig verändern. Die Inflation nimmt den letzten Rest an Gestaltungsraum der jungen Leute, die Pavel Prjaschkos in seinem Stück durch ihren Alltag in den Vorstädten von Minsk begleitet. In Zwangsgemeinschaften strampeln sie sich für ein bisschen Konsum ab, verbrauchen ihre Kräfte für einen nicht zu gewinnenden Kampf um etwas Wohlstand. Das schürt Aggressionen. Sie werden zu Objekten. Ihre eigenen Geschichten werden zum Schluss vom Band abgespielt, sie sind nur noch Zuhörer, die stumm davor sitzen müssen. Schließlich verschwinden sie hinter den Bildern ihrer Heimatstadt und werden zu Schatten ihrer selbst. Die Inszenierung der Ukrainerin Elina Finkel „Drei Tage in der Hölle“ vom Staatstheater Oldenburg verzichtete auf Umsetzungsvielfalt. Sie wählte einförmige Regiemittel und nahm dafür aufkeimende Langeweile bei den Zuschauern in Kauf, um die Eintönigkeit des Alltags zu verdeutlichen.
Er ist besser als ich, kriegt meinen Job und seinem Besitzer gehört die Welt Die Super Nanny wird gesucht. Zu einem Auswahltest werden die Zuschauer gebeten. Computer Susi analysiert sie, während ihnen das Moderatorenpaar die Aufgaben stellt. Im bekannten Stile einer Quizshow werden sie zu vergnüglichen Mitmachen animiert, bis durch das Aufsetzen einer digitalen Optimierungsbrille klar wird, wer in diesem Spiel die Oberhand behalten wird. Susi leitet alle Daten an die Serverzentrale für ihre Zwecke weiter. Da hilft nur noch den Stecker zu ziehen. Leider war die Spielanordnung des Scharlatan Theaters unter der Regie von India Roth etwas zu einfach, um das Stück zu einer wirklich spannenden Performance zu machen.
Sweet Rabbit Ganz anders das zweite Stück des Abends: Fünf Regisseure der Theaterakademie „Jesus Maria & Josef Stalin“ erkundet die Kommunikationsstrukturen des Netzes in einem dreißigminütigen Parforceritt durch die Foren und Chats. Da treffen die Gewaltfantasien einer Vierzehnjährigen auf die Sorgen einer Kaninchenbesitzerin. Die Liebesmonolog einer Verzweifelt Liebenden auf die You-Tube-Selbstdarstellung eines Glamourgirls. Der Aufruf zur Revolution auf die Datinganfrage eines Einsamen. Die Masken, Hüte und Verkleidung werden so schnell gewechselt wie die Identitäten. Ausführliche Dialoge und Monologe wechseln mit übereinander gesampelten Netzausschnitten. Die permanente Gleichzeitigkeit, die Überforderung und Beliebigkeit, Brandbreite, ungefilterte Vielfältigkeit des Internets wird mit theatralen Mitteln auf die Bühne gebracht. Hier ist die Einsamkeit vor dem PC gewandelt in eine analoge Gemeinsamkeit. Das Kaleidoskop hat kleine Widerhaken, die irritieren. Aufrufe zum Umsturz, Theorien zur Kulturindustrie und Gedichte über die absolute Liebe bleiben im Gedächtnis hängen.
Wasserstoffbrennen Ein Mann würfelt sich durch sein Leben. Immer wenn eine Entscheidung ansteht, definiert er die Bedingung für gerade und ungerade Zahlen und überlässt die Entscheidung dem Würfel. Erst kurz vor seinem Lebensende stellt er fest, dass der Würfel stets nur gerade Zahlen zeigte. Ist das nun ein Bild für Schicksal, Zufall oder Selbstbestimmung? Viele solcher Fragen stellt das Stück Wasserstoffbrennen. Es fragt nach dem Zusammenhang zwischen Universum und menschlichem Alltag. Es fragt nach den Mythen der großen Liebe und ihrer Wahrscheinlichkeit. Es fragt nach den Gemeinsamkeiten zwischen Ameisen und Menschen. Wie Regisseur Michael Schlecht vom Wiener Theater Drachengasse das in Szene setzt ist toll. Der schwarze Raum wird zu Beginn schnell mit Luftschlangenspray zu einem farbenprächtigen Zufalls-Kunstwerk und somit zu einem Bild des eigentlich düsteren Lebens mit ein paar improvisierten Farbflecken. Die beiden Schauspieler in ihren schwarzen Mänteln erzählen ganz unprätentiös von ihrem gemeinsamen Leben, das sich unaufgeregt diesen großen Fragen stellt, wohl wissend, dass sie nur ein kleines Teilchen des Universums sind. Ein kluges Stück, ganz behutsam und reduziert inszeniert und wunderbar gespielt.
Warum bin ich eigentlich heimlich so verdammt stolz auf meinen Naziopa Ein Matratzenlager auf dem Fußboden. Wunderbare Baumlandschaften in sich verändernden Farbgebungen werden in völliger Stille auf das Weiß am Boden projiziert und täuschen Einklang mit der Natur vor. Doch dann positioniert sich Moritz Kienemann an verschiedenen Stellen des Lagers und gibt verschiedene Störfeuer ab. Ob nun dadaistisch der Lautsprache noch nicht mächtig, pantomimisch ganz ohne Worte, in Hasstiraden gegen alles, in romantischen Liedern, mit einem Loblied auf den Mittelmaß oder schließlich in einem Aufruf zum längst überfälligen Aufbegehren gegen den Istzustand. Die Hängemattengeneration, die nur den Wohlstand kennengelernt hat, soll sich endlich bewegen und aufzustehen, zur Not auch mit Gewalt. Zu diesem Zeitpunkt hat er die Zuschauer längst auf seine Fährte gelockt. Wenn er zum Schluss in einem Halbsatz den Vergleich zum IS zieht, erwischt er sie kalt und macht die Verführbarkeit, die auch seinen Naziopa geleitet hat, deutlich. Unter der Regie von Jakob Roth entstand eine Performance, die in großer Präzisionsarbeit mit immer wieder überraschenden Momenten die Verführbarkeit des Menschen untersuchte.
Happiness Engineer Ein Lebensratgeber auf zwei Beinen ist Vera. Unermüdlich selbstoptimiert sie sich selbst. Alle Aktivitäten dienen der zielorientierten Leistungssteigerung. Immer nur noch besser werden. Da schlägt man Klangschalen, da trinkt man den guten Bio-Kräutertee, da liest man Karriereratgeber, da studiert man Philosophen, da macht man Yoga. Stretching wird zur Grundmaxime des Lebens. Sei ein Fluss und kein Wasserbett. Sei immer in Bewegung, entwickle dich ständig weiter. Muße gibt es hier nur im Takt des Weckers. Diese Frau ist bestens vorbereitet, wenn sie zum Schluss der Performance in schicker roter Bluse und Krawatte zur Tür raus geht. Leider schnurrt die Performance zu glatt und ohne Brüche durch, um viel mehr als Bewunderung für den Sammel-Fleiß der Autorin Silke Rudolph und die Gedächtnisleistung und Fitness der Schauspielerin Vera Molitor hervorzurufen.
Der Hals der Giraffe Schüler sind für sie eine zu beherrschende Masse. In Demut und Disziplin haben sie sich zu üben. Eigenständige Individuen will sie in ihnen nicht sehen. Die Lehrerin aus Thüringen (Regine Andratschke) ist eine verbitterte Frau, die an ihrem Ehemann besonders schätzt, dass er wie sie Kommunikation für überflüssig hält. Pädagogik besteht für sie aus Aussortieren der Unfähigen. Als Biologie-Lehrerin glaubt sie sich der reinen Wissenschaft verpflichtet und von ideologischen Einflüssen unbelastet. Doch Ausführungen über Menschenrassen und die Unwürdigkeit des Schwächeren strafen sie Lügen. Judith Schalanskys Text ist unglaublich stark. Davon zehrt die Inszenierung, die unter Oliver D. Endreß auf Regieüberraschungen gänzlich verzichtete und somit im vorhersehbaren Rahmen blieb. So war leider nur eine handwerklich solide Arbeit zu sehen, die aber weit hinter dem Aufregungspotential der Vorlage zurückblieb.
Ich bereue nichts Welches könnte das berührende Bild für den Überwachungsstaat sein? Wodurch könnte die Botschaft von Edward Snowden am wirkungsvollsten unterstützt werden? Das wollen der Regisseur Jan-Christoph Gockel und der Schauspieler Thomas Halle vom Staatstheater Karlsruhe herausfinden. Der amerikanische Held soll nicht umsonst sein bisheriges Leben im Paradies von Hawaii aufgegeben haben! Doch weder ein ungelöster Rubrik Cube, der zwölfjährige Eddie auf dem hereingerollten Plüschpferd noch der jugendliche Edward im Monitorlicht seines PCs können es sein. So werden die Requisitenschatzkisten aufgemacht und Halle demonstriert mit seiner Ritterrüstung, wie sinnvoll aber auch unkomfortabel die Sicherheit sein kann. Das Publikum darf das mit ausgeteilten Schilden, Helmen und Brustpanzern nachfühlen. Auch eintauchen in das Leben Snowdens können sie. Zahlreiche Kopien seines privaten Fotoalbums werden durch die Reihen gereicht. Doch zum Schluss hilft nur noch das Abtauchen in die Unsichtbarkeit. Halle legt sich einen Taucheranzug mit Kopfglocke an. Die Suche nach dem einen Bild musste erfolglos bleiben. Doch mit Hilfe ihrer unterhaltsamen, interaktiven und überraschungsreichen Bildersuche sorgten sie in der schnelllebendigen Medienwelt für die Aufmerksamkeit, die trotz Snowdens Abtauchen nach Moskau sein Anliegen mit allen Sinnen wieder an die Oberfläche des Gedächtnisses holt.
Recardo Koppe als die Ratten in Neukölln Ein Bühnenexperiment ohne Auffangnetz! Einen Bühnenklassiker als Einpersoneninszenierung ohne Bühnenbild, ohne Kostüm und fast ohne Requisite auf die Bühne zu bringen, ist mutig. Regisseurin Theresa Henning und Schauspieler Recardo Koppe wagen das Experiment. Dank der enormen körperlichen Präsenz Koppes, seiner hohen Beweglichkeit und sprachlichen Variationsbreite kann das Konzept aufgehen. Auch Zuschauer, die das Originalstück nicht kennen, verstehen die Handlung. Doch das Risiko bleibt in jeder Sekunde. Jeder Ton muss stimmen, jede Bewegung muss sitzen, nichts lenkt ab oder kann Halt geben. Beim Berliner Gastspiel in Hamburg konnte der Zuschauer dies nachfühlen, denn im letzten Drittel ließ die Genauigkeit etwas nach und der Spannungsbogen, den Koppe bis dahin spielend hielt, bekam sofort einen Knick nach unten. Trotz dieser kleinen Tagesformmängel eine überaus lohnende Herangehensweise, weil sie Neues und Ungewöhnliches wagte.
Das große Heft Da stehen die zwei in ihren streng zugeknöpften grauen Hemden unter dem Metallrahmen, die beiden ungleichen Zwillinge (Peter Fasching, Justus Ritter). Im Krieg bei der unnachgiebigen Großmutter untergebracht, erkennen die beiden aufgeweckten Schicksalsbrüder ihre einzige Überlebenschance in der Anpassung an die Verhältnisse. Sie härten sich gegenseitig mit Beschimpfungen, Schlägen, Verletzungen und Übungen zur Grausamkeit ab, bis sie gänzlich gefühllos den Zumutungen der Kriegszeit gegenübertreten können. Alle Emotionen eliminieren sie sowohl aus ihrem Leben wie aus ihrer Sprache. Gefühlsausbrüche sind nur die Frau (Irene Kleinschmidt) auf der Bühne, die in alle Nebenrollen schlüpft, erlaubt. So karg und eindeutig die Beschreibung der Brüder durch die Autorin Agota Kristof ist, so klar und reduziert ist die Regie von Theresa Welge. Sie verstärkt nur noch den Schrecken angesichts der möglichen Verrohung selbst von Kindern. Wenn der Metallrahmen im Laufe des Bremer Gastspiels immer dichter an die Zuschauer herangekippt wird, breitet sich das Grauen angesichts der Gattung Mensch unverdrängbar aus.
Birgit Schmalmack vom 6.6.15
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