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| Die Möwe |
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Zur Kritik von
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Die Möwe, Deutsches Theater, Berlin
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Unverkünsteltes Leben Hier wird nicht psychologisiert, sondern hier wird offenbart. Das Innerste wird nach außen gekehrt. Alles geschieht in einem öffentlichen Raum unter den Augen und Ohren der Landgemeinschaft. Hier gibt es kein Entrinnen, denn sie beobachtet alles. Aufgereiht sitzen alle vor der grauen Mauer und beobachten das Verhalten, das Leiden und die Entblößungen der Anderen. Die Land-WG, die sich jeden Sommer aufs Neue auf dem Gut versammelt, ist eine Ansammlung von Menschen, deren aufstrebende Lebensziele jäh abgestürzt sind. Auch die scheinbar so strahlende Schaupiel-Diva Irina (Corinna Harfouch) wird hier schnell von ihrem Sockel geholt. Ihre Ängste vor dem Alter und dem Verlust der Attraktivität kann sie nur mühsam verbergen. In fast lächerlicher Verzweiflung versucht sie mit krampfhafter Umklammerung ihres jugendlichen Geliebten Trigorin (Alexander Khuon) den Iststand zu konservieren. Ihr ungestümer Sohn Kostja (Jirka Zett) ist ein hochempfindlicher Heißsporn, der so gerne ein bahnbrechender Künstler werden möchte, aber in übergroßer Selbstkritik seine eigenen Ideen selbst zerstört. Der erfolgreiche Jungschriftsteller Trigorin ist im Gegensatz zur Außenwahrnehmung unsicher und unzufrieden. Statt befriedigt durch seine Kreativität und seinen Erfolg fühlt er sich nur getrieben von einem automatisierten Schaffensdrang. Durch die Verbindung mit der berühmten Arkadina hoffte er etwas von ihrer damaligen Selbstsicherheit zu erhalten. Nun bekommt diese Brüche und er sieht sich nach jüngeren Aufwertungsmöglichkeiten um, die er in Gestalt von Nina zu treffen glaubt. Arkadinas Bruder Pjotr (Christian Grashof) ist ein desillusionierter Mensch am Ende eines ganz und gar ereignislosen Lebens. Sein gebrechlicher Körper ist voller ungestillter Lebensgier, der weiß, dass sie nicht mehr erfüllt werden wird. Nina (Kathleen Morgeneyer), die von Kostja geliebt wird und die wiederum Trigorin unglücklich verfällt, ist ein durchscheinend zerbrechliches Wesen. Die Prominenz, die jeden Sommer anreist, himmelt sie in großer Naivität an und lässt sich leicht von ihr verführen. Nach schmerzhaften Erkenntnisprozessen, die sie als Schauspielerin in der Großstadt und abgelegte Geliebte des Trigorins durchlitten hat, ist sie so gereift, dass sie selbst in ihrer Gebrochenheit eine große Stärke und Größe bewahrt. Die Szene, in der sie sich Kostja offenbart, gehört zu den Höhepunkten der Inszenierung von Jürgen Gosch der „Möwe“ am Deutschen Theater Berlin, die jetzt als Abschluss des Hamburger Theaterfestivals zu sehen war. Ganz anders der Zusammenbruch Irinas. Als sie merkt, dass Trigorin sich zur jungen Nina hingezogen fühlt, klammert sie in höchster, hysterischer Verzweiflung an ihn und verliert jede Würde. Sie macht sich klein und bittet ihn auf Knien bei ihr zu bleiben. Zu allen Zugeständnissen bereit, wird sie in den nächsten Jahren still einen jahrelange Menage à trois dulden. Gosch lässt die Schauspieler und ihre Figuren in eruptiven Ausbrüchen ihre Seelen entblößen. Hier wird keine hehre Kunst zelebriert, hier bricht sich das Leben seine Bahn. Birgit Schmalmack vom 9.11.12
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