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Grenzenlose Gier

Boca Cova, Sophiensäle Mayra Wallraff


Weit aufgerissene Münder, groß aufgezogene Augen, entschiedener Blick, gebückte Haltung mit angewinkelten Armen und Beinen. So sehen kampfbereite Menschen aus. Oder gierige, die ständig der Hunger nach dem noch Mehr antreibt. Was im Endeffekt auf dasselbe hinausläuft. Denn der Hunger unserer heutigen Konsumgesellschaft ist so groß, dass die Erde sich letztendlich damit rächen könnte, dass sie uns ihrerseits verschlingt. Diese Botschaft hat sich Michelle Moura für ihre Arbeit „Boca Cova“ zum Ziel gesetzt, was übersetzt in etwa „Mundgrab“ bedeuten könnte. Wir verschlingen die Güter der Erde, wir verschlingen uns gegenseitig und die Natur könnte sich bald revanchieren.
Die Münder der vier Tänzerinnen stehen im Mittelpunkt der Choreographie, die mit sparsamen Mitteln auskommt, die ständig wiederholt werden, bis sich ganz behutsam Variationen unter sie mengen. Zunächst ist nur das „Ham“ der Perfomerinnen zu hören, wenn sie den Mund aufreißen und dann mit einem heftigen Schlucken wieder schließen. Sie tun dies im Gleichklang und in einer Formation, die sich quer über die Bühne bewegt, die von vier Seiten von Zuschauertribünen umgeben ist. Mal ordnen sie sich im Kreis an, mal in Zweierkombi, mal als Schlange. Bei letzterer könnte man an eine Geburt denken, doch es ist wohl eher ein Verdauungsprozess, dem wir hier zuschauen. Jeweils eine von ihnen windet sich unter den Körpern der anderen hindurch, unter großer Anstrengung, wie man ihren Gesichtern anmerkt. Kommt sie auf der anderen Seite der Raupe wieder heraus, ist die Erleichterung kurz zu spüren, bis der Prozess wieder von vorne beginnt.
Die Tanzformen, die diese Frauen hier praktizieren, erinnern an den Haka, einen traditioneller Tanz aus Neuseeland. Bei den Aborigines soll er die eigene Stärke, Kraft und das Bewusstsein für die Gemeinschaft stärken. Doch wo der Haka mit lauten Gebrüll und Gesang einhergeht, hört man hier nur den Atem und das Stampfen. Erst sehr viel später wird auch Musik und Gesang hinzukommen und das Stück etwas mehr Drivebekommen.
Moura hatte sich vorgenommen, eine Kritik an der lebensfeindlichen Logik des Kapitalismus in Bewegung zu übersetzen. Diejenigen, die sich zuvor mit den Vorüberlegungen für diese Arbeit auseinandergesetzt hatten, hatten es sicher leichter, diese Botschaft intuitiv zu verstehen. Daher lohnt es sich, wenn nicht vorher, dann zumindest hinterher mit dem Podcast-Gespräch zwischen Ricardo Carmona und Moura zu beschäftigen. Spätestens dann wird klar, dass sehr viel Recherche-Theorie hinter dieser Arbeit steckt, die sich aber leider nur bedingt alleine durch die auf der Bühne zu erlebenden Bilder, Bewegungen und Geräusche transportiert.
Birgit Schmalmack vom 26.8.24