Räuber
Karaoke mit Seele
Eine kuschelige Polsterecke mit Fernseher und Videogerät kontrastiert die karge Bretterbühne mit dem kantigen Baumausguck. So sind beide Parameter, die Karls von Moors (gefühlsstark: Tilman Strauß) Leben bestimmen, gleich auf einen Blick sichtbar und können ihre Verschränkungen offen legen.
In der Sofaecke liegt schwerkrank sein geliebter Vater (Urs Jucker). Neben ihm sitzt der jüngere Sohn Franz (differenziert: Sebastian Zimmer), der die Gunst der Stunde nutzt: Immer schon eifersüchtig auf den bevorzugten Karl, macht er den Vater glauben, dass dieser eine Schande für seinen guten Namen darstellen würde. Der wehrlose Vater fügt sich und verstößt seinen Sohn Karl.
Während seines Intrigenspiels guckt Franz immer wieder zu Karl hinüber und macht die Verquickung deutlich. Der reagiert prompt: Aus Wut über die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit gründet er eine rebellische Räuberbande, die fortan mordend und brandschatzend durch die kriegerischen Lande zieht. „Die Liebe ist dahin!“ ist sein Schlachtruf geworden.
Franz will derweil nicht nur als Erbe in die Fußstapfen Karls treten, er stellt auch dessen Braut Amalia (ausdrucksstark: Birte Schnöink) nach. Er verbreitet das Gerücht, dass ihr Verlobter in einer Schlacht gefallen ist.
Karl findet in der dauernden Rache nicht die Befriedigung, die er sich erhoffte. Er erkennt, dass seine Ziele nicht die seiner Kumpanen sind. Nicht um Gerechtigkeit sondern um Beute und Abenteuer geht es ihnen. Die Sehnsucht nach seiner anderen Seite treibt ihn in Verkleidung in sein Vaterhaus zurück. Amalia erkennt ihn, doch Karl muss ihr schweren Herzens klar machen, dass er nicht mehr derjenige ist, den sie liebt. Viel zu viel Blut klebt an seinen Händen.
Bei ihrer letzten Begegnung kommt es zu einem Showdown: Zum Schluss ist die Bretterbühne gepflastert mit Leichen: Nur der schon totgeglaubte Vater atmet noch schwer röchelnd zwischen all den zusammen gesunkene Toten.
Der Schaubühnen-Schauspieler Lars Eidinger hat in seiner ersten Regiearbeit mit Schauspielstudenten der Ernst-Busch-Hochschule eine schmissige Inszenierung hingelegt, die Mut zum Gefühl bewies. Immer lässt er die Schauspieler mit der Fernbedienung das Videogerät betätigen und zu wohl bekannten, aussagekräftigen Karaoke-Songs singen. Da tanzt Franz zu Jacksons „Bad“, da singen Karl und Amalia Cat Stevens „Father and son“ und da kommentiert Karl seinen ersten Mord mit „Mama, I just killed a man“. Wenn Amalia voll Trauer zu Karl herüberschmachtet: „I can`t live, if living is without you“, dreht sich dazu sogar die Diskokugel und wirft Sterne auf die schwarzen Wände des Studios.
Das hätte vielleicht vordergründig wirken können, würde Eidinger nicht gleichzeitig auf Sorgfältigste die Gefühlslage von Karl unter die Lupe nehmen. Seine enttäuschte Liebe machte ihn erst zu einem Mörder, dem der Rückweg versperrt ist. In dieser Weise sehnsüchtig und leidend hat man den Karl von Moor in einer Räuberinszenierung selten zu sehen bekommen. So passen hier Karaoke und Seelenerkundung auf Wunderlichste und Beste zusammen und machen den Abend im Studio der Schaubühne zu einem äußerst sehenswerten.
Birgit Schmalmack vom 17.4.09




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