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Kleiner Mann, was nun?, Ohnsorg

Die kleinen Leute

Zwei grüne Männchen (Jochen Klüßendorf, Rabea Lübbe) blödeln sich zur Seitentür hinein. Sie setzen zum Sprechen an, doch brechen immer wieder unverrichteter Dinge ab. Dann besinnen sie sich auf ihre eigentliche Aufgabe und tragen zwei Figuren auf die Bühne und hauchen ihnen Leben ein. Pinneberg (Jannik Nowak ) und Lämmchen (Julia Kemp ) sind erschaffen und versuchen ab jetzt, einen gemeinsamen Weg durch dieses Leben zu finden. Denn es gibt eine große Neuigkeit, die Lämmchen ihrem Freund mitzuteilen hat: Sie ist schwanger. Er geht auf die Knie und macht ihr mit dürren Worten einen Antrag, wohlwissend dass ihm dafür eigentlich alle Mittel fehlen. Pinneberg ist bedenklich, doch Lämmchen strahlt vor Glück und Zuversicht. Diese Aufgabenverteilung wird bleiben. Zwar ist Pinneberg kein Arbeiter mehr wie Emmas Eltern, sondern ein Angestellter, aber das hilft ihm wenig in der Zeit der großen Wirtschaftskrise am Ende der Weimarer Republik. Seine wechselnden Chefs können ihn aufgrund des Überangebots an Arbeitskräften herumkommandieren und für ihre ökonomischen Zwecke ausnutzen. "Keep smiling!“ empfiehlt ihm sein Chef des Kleidungsgeschäfts, in dem Pinneberg arbeitet. Doch wie Pinneberg die Kunden gut gelaunt und entspannt beraten soll, wenn das Damoklesschwert der nie zu erreichenden Quote über ihm hängt, kann er ihm auch nicht verraten. Denn für Pinneberg geht es um alles: Er ist der Alleinversorger seiner kleinen Familie aus Frau Lämmchen und Baby Murkel.

Die verschiedenen Stationen ihrer nun folgenden miserablen Unterkünfte sind auf der Breitbandbühne des Ohnsorg-Studios zu sehen. Mal müssen sie Treppenstufen emporsteigen, mal unter einen Tisch kriechen, mal über eine Feuerleiter auf einen Schrank klettern und zum Schluss sich mit einer Bank begnügen. In der Inszenierung von Ayla Yeginer sind die grünen Wesen als Geister oder Mitwirkende immer mit dabei. Sie können nicht nur Musik machen, Tonspuren abspielen, sondern auch in alle übrigen Rollen schlüpfen, die Eltern, die Chefs die Vermieter, die Arbeitslosen, die Kollegen darstellen. Sie sorgen in dem eigentlich traurig stimmenden Stoff für die komischen Momente, indem sie ihre Figuren liebevoll überzeichnen. Kemp und Nowak dürfen dagegen ungebrochen mit ihren Rollen als Liebende verschmelzen, die versuchen, sich ihren Weg durch diesen Irrsinn des Lebens zu bahnen und sich dabei selbst treu zu bleiben.

Anrührend wird in Falladas Roman "Kleiner Mann was nun?" die Ohnmacht der kleinen Leute geschildert. Armut macht krank, grenzt aus und erweckt Scham. Wird sich ihr Kämpfen lohnen? Auch wenn die Beiden stets versuchen, den Kopf oben zu behalten und nicht den Mut zu verlieren, so geht ihnen im Verlaufe ihrer Abwärtsbahn langsam die Puste aus. Doch die Liebe der Pinnebergs überwindet alles. Trotz der Depression, die auch Pinneberg aufgrund seiner Arbeitslosigkeit erfasst hat, findet er in seiner Frau den Halt, der ihn vor dem Absturz zu retten vermag. So lässt jedenfalls das letzte Bild hoffen. Während Lämmchen unter dem Türrahmen im Hellen steht und verzweifelt in der kalten und düsteren Laubenkolonie nach ihrem Mann Ausschau hält, liegt der zusammengekauert im Dunklen über ihr. Doch irgendwann reicht er seine Hand hinunter, sie streckt ihre nach oben und sie knüpfen wieder ihr Band der Gemeinsamkeit. Doch man weiß als Zuschauer natürlich, was den Beiden noch alles bevorsteht. So berührend, interessant und immer wieder aktuell kann ein über hundert Jahre alter Stoff auch heute noch sein.
Birgit Schmalmack vom 3.1.24

Abbildung: Kleiner Mann was nun?, Ohnsorg - Foto: Sinje Hasheider