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Die beiden Stücke des Abends könnten keinen größeren Kontrast bilden. Der erste Teil, der dem Abend seinen Namen gab, "Slow burn" ist ein Eintauchen in Emotionen pur. Ganz in Orange ist die Bühne getaucht. Das Licht wirft orangene Lichtkegel. Alle Kostüme sind in orange-gelb-rot-Tönen gehalten. Sie bauschen ebenso kräftig auf, wie die Choreographie, die auf Opulenz setzt. Die Choreographin Aszure Barton füllt die Bühne aus, nicht nur durch die Masse der Tänzer:innen sondern zum Teil auch durch die aufgerüschten Kostüme, die die Kostümbildnerin aus den Fundstücken im Kostümfundus kreiert hat.
Die beiden Hauptdarstellerinnen des Stückes (Silvia Azzoni und Madoka Sugai) stehen sich spiegelbildlich gegenüber. An Statur und Eleganz gleich, an Alter unterschiedlich. Sie sind einander verbunden, das merkt man sofort. Sie beziehen sich in ihrem Tun stets aufeinander. Der Rest des Ensemble ist eine Mischung aus undefinierter Gesellschaft, lebendigen Naturwesen oder untergründig bewegender Masse. Mal bewegt sie sich robbend, kullernd auf dem Boden, mal schreitet sie wie Tiere auf vier Füßen, mal formt sie Ensemblefiguren, in denen die beiden Frauen untertauchen können. Auch wenn sie kurzfristig in dem Gewimmel der Anderen verschwinden, bleiben sie immer in Verbindung, wissen genau, wo die andere jeweils gerade ist, bleiben in Kontakt und nehmen ihr tänzerisches Gespräch wieder auf, wenn sich die Menge in die Versenkung begibt. Auch als sich zwei Männer zu den beiden Frauen gesellen und mit ihnen tanzen, bleibt ihr Sichtkontakt erhalten. Sie ergreifen sogar ihre Hände, wenn sie mit den beiden Männern nebeneinander tanzen. Zum Schluss sind die Männer wieder Teil der Menge, die Frauen umarmen sich nebeneinander stehend und blicken zusammen auf die Übrigen. Ihre Verbindung bleibt. Sie hat all die Veränderungen der Anderen an sich vorüberziehen lassen, kurzfristig mitgemacht, dennoch immer den eigenen Stil und den Zusammenhalt beibehalten. Still und unaufgeregt und dennoch zielbewusst und stringent haben sie ihre Gemeinschaft bewahrt. Sie sind Teil einer größeren Gruppe, bleiben jedoch immer etwas Besonderes. Sie werden nicht ausgestoßen, sie stoßen sich nicht ab, aber sie bleiben doch herausgehoben.
Es gibt auch noch andere Sonderlinge innerhalb der Gruppe. Mit riesigen Blumenrüschen an den unförmigen Kostümen spielen sie die Clowns und sorgen für Stimmung, wenn ihnen die Gruppe zu lahm wirkt. Sie sind die Unterhalter für kurze Unterbrechungen am Rande. Den zwei Frauen können sie ihre Position des Dreh- und Angelpunkts dieser Gemeinschaft nicht streitig machen, wollen sie auch gar nicht. Die beiden Frauen bilden eindeutig das Zentrum dieser Choreographie, die die vielfältigen Beziehungsmuster einer Freundschaft innerhalb einer Gemeinschaft durchspielt. Zu der extra für diesen Abend komponierten Musik von Ambrose Akinmusire wird daraus ein überaus ästhetischer, gefühlvoller und dezent anregender Neuanfang nach dem Weggang von John Neumeier in der Staatsoper.
Nach der Pause geht es ganz anders weiter. Sehr formstreng beginnt das erste der kleinen Stücke der „Blake Works V (The Barre Project)“. Noch ganz ohne den Ballettbarren, der dem Stück seinen Titel gab. Zu den verfremdeten Klängen von James Blakes Song "Lindisfarne" vollführen die zwei Tänzer und die Tänzerin ihre exakten Schwünge, Drehungen und schnellen Schritte, alles beeindruckend in der Präzision und Eleganz. Doch erst das zweite Stück zündet richtig, denn jetzt hat die elektronische Musik Fahrt aufgenommen und die drei Tänzer:innen wechseln sich an der Stange, die nun auch Teil der Bühne geworden ist, ab. Immer dem schnellen Beat der Musik folgend absolvieren sie typische Ballettbewegungen in atemberaubender Schnelligkeit. So geht es bei den Kabinettstückchen, die der Choreograph William Forsythe hier für das Publikum angerichtet hat, weiter. Die Tänzer:innen überbieten sich in ihren virtuosen Leistungen, die man selten so rhythmisch gesehen hat. Das ist Ballett pur, aber zu Beats, die sonst selten zu hören sind. So bekommen diese Bewegungen einen Drive, der mitreißt und begeistert. Ein Feuerwerk des Rhythmus, der Kraft, Präzision, der Energie und der speziellen Tanzsprache des Balletts. Zum Schluss erlaubt sich Forsythe einen Spaß. Hat er die Bewegungen von jeweils maximal drei Tänzer:innen bisher nur einzeln vorführen lassen, so lässt er in den letzten drei Minuten das ganze Ensemble dazukommen. Sieht man nun die Bewegungen in der Vervielfachung, nimmt man ihre Wirkung noch einmal ganz anders wahr. Plötzlich steht hier ein ganzes Ensemble voller Künstler:innen auf der Bühne. Konsequenterweise verbeugen sich zum Schluss nicht die einzelnen Solisten alleine, sondern bei jeder einzelnen Verbeugung das gesamte Ensemble in einer Reihe. Ein insgesamt interessanter Abend mit vielem, was Ballett auch sein kann. Und dennoch bleibt noch viel Luft nach oben und man darf gespannt sein, was das Hamburg Ballett noch zu bieten haben wird.
Birgit Schmalmack vom 20.12.24
Abbildung: Slow Burn, Hamburg Ballett - Kiran West
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