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Sieben kleine Kämmerchen im Obergeschoss, das Wohn- und Esszimmer mit angrenzender Küche und Hof im Untergeschoss. Diese aufgeschnittene Hausfrontansicht bietet sich nach dem Hochfahren des Bühnenvorhangs. Dazu düstere Klänge, die nichts Gutes ahnen lassen. In Zeitlupentempo bewegen sich die Gestalten, die in diesem Haus wohnen. Allesamt sind es Frauen (Bettina Stucky, Eva Maria Nikolaus, Henni Jörissen, Josefine Israel, Mayla Häuser, Linn Reusse, Luisa Taraz, Sachiko Hara, Eva Maurischat). Kein Mann weit und breit. Drei Generationen Frauen unter sich. Bernarda (Julia Wieninger) ist die Herrscherin über alle. Doch anscheinend noch nicht lange, denn heute hat die Beerdigung des Hausherrn stattgefunden. Eine Tochter wagt am Esstisch zu weinen. Hör auf, herrscht sie die Mutter an. Wenn du heulen willst, versteck dich unterm Bett. Der Ton, der in diesem Haus herrscht, ist gesetzt. Fürsorge, Liebe, Verständnis darf hier keine erwarten. Sofort springt eine der Töchter auf und zerrt ihrer Schwester die Hände vom Gesicht und zwingt sie auf den Stuhl. Solidarität anscheinend ebenso Fehlanzeige.
Nach dem schweigsamen Mahl verschwinden alle auf ihre Zimmer. Jede für sich alleine werden sie kurz zu ganz normalen Frauen. Sie ziehen sich aus, rasieren ihre Beine, cremen sich ein, betrachten sich im Spiegel, hören Musik oder befriedigen sich selbst. Denn sie wissen: Ein Gegenüber werden sie wohl in nächster Zeit nicht bekommen. Ihre Mutter hat beschlossen, dass sie nur im Haus in Sicherheit seien. Alle Männer würden sie ins Verderben bringen. Sie werden hier eingeschlossen bleiben.
Wofür die Mutter sie aufsparen oder bewahren möchte, bleibt unausgesprochen. Will sie ihre Reinheit erhalten? Hat sie religiöse Gründe? Hält sie alle Männer für Verderber? Will sie sie für sich behalten? Doch eins ist klar: Sie verbietet den Frauen jeden Kontakt nach außen.
Doch beim Blick in die Töchterzimmer wird auch klar: Die älteste der Töchter ist schwanger. Von wem, wird einst allmählich deutlich: vom zweiten Ehemann der Mutter, dem Vater der vier anderen Töchter. Sie selbst stammt aus der ersten Ehe der Mutter. Nun wird sie die einzige sein, die das Haus verlassen darf. Sie soll einen Mann aus dem Dorf heiraten. Das gelingt ihr, weil sie ein die Haupterbin des verstorbenen Vaters ist. Doch ihre Vorfreude wird bald getrübt. Denn auch ihre jüngste Schwester hat ein Auge auf den attraktiven Peter aus dem Dorf geworfen. Wenn dieser Peter jeden Abend zu der ältesten Schwester an das Tor des Hauses kommt, wartet sie schon, bis diese ins Bett geht. Danach beginnt ihr eigenes Stelldichein. Zu allem Überfluss hat auch eine weitere Schwester sich in diesen Mann verliebt. So steigern sich die Eifersüchteleien unter den Schwestern bis hin zum dramatischen Ende.
Alice Birchs Neufassung von Federico García Lorcas Stück hat die Regisseurin Katie Mitchell für das Hamburger Schauspielhaus auf die Bühne gebracht. Wie immer unterliegt ihre Inszenierung einer sekundengenauen Choreographie. Dieses Mal allerdings ohne filmische Mittel, dafür aber mit vielen ineinander geschnittenen Kammerspielen, die zeitgleich in verschiedenen Räumen auf der Bühne stattfinden. Das macht das Verfolgen der Gesichte zunächst unübersichtlich. Man muss ich anstrengen, um die jeweilige Sprecherin zu identifizieren. Doch man merkt schnell; hier geht es weniger um den direkten Wortlaut sondern vielmehr um die Stimmungen. Diese Frauen beeinflussen sich gegenseitig so stark, dass es fast unwichtig zu sein scheint, welche von ihnen welchen Satz gerade spricht. Sie sind so sehr gefangen in ihrer gemeinsamen Sozialisation, dass sie zu einem Körper verschmelzen. So kann ihr Ende auch nur ein gemeinsames sein.
Als die jüngste Tochter denkt, dass die Mutter ihren Liebsten erschossen hat, bringt sie sich um. Die Mutter entscheidet danach, dass sie Pillen an alle verteilen muss. Nur eine wagt den Ausbruch: Die Älteste steht auf und geht zur Tür hinaus. Vielleicht hofft sie noch, dass sie zu Peter fliehen kann? Die anderen haben sich ihrem Schicksal ergeben. Sie sind gefangen in dem von der Mutter verordneten Weg. Für sie gibt es keine Hoffnung, keine Zukunft. Ihre Mutter wollte Sicherheit für sie. Sie dachte, dass sie sie ihnen nur in diesem Haus geben könnte. Sie ist gescheitert. Als sie erkannte, dass sie ihre Zügel nicht straff genug geführt hatte, sieht sie nur noch den Ausweg in die Sicherheit des Todes. Ihre letzten drei Töchter kann sie nur noch vor der Welt retten, indem sie sie umbringt und gemeinsam mit ihnen stirbt.
Die absolute Sicherheit vor dem Leben gibt es nur im Tod.
Birgit Schmalmack vom 8.12.24
Abbildung: Bernarda Albas Haus, DSH - Foto: Thomas Aurin
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