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Der Verlust beschäftigt Christiane Hoffmann ihr Leben lang. Dabei weiß sie nicht einmal, was genau sie eigentlich verloren haben soll. Denn in ihrer Familie wurde über dieses Thema konsequent geschwiegen. Die Nichterinnerung sollte das Gefühl des ansonsten immer schmerzenden Verlustes nicht hochkommen lassen. "Alles was wir nicht erinnern, können wir nicht verlieren."
Ihre Vorfahren mussten fliehen. Vor den einmarschierenden Russen aus Niederschlesien, aus dem Dorf Rosenthal. Sie mussten es verlassen und mit einem Treck gen Norden marschieren, nur mit dem Nötigsten im Gepäck. Ihr Großvater war da elf Jahre alt. Hoffmann konnte ihn nie befragen, wie er sich gefühlt hatte. Diese Leerstelle blieb ihr Leben lang, brachte ihr eine Unruhe, die sie umtrieb, ohne ihren Ursprung lokalisieren zu können. So begibt sie sich nach dem Tod des Großvaters auf die Reise nach Rosenthal, das heute Różyna heißt und in Polen liegt. Doch sie kann dort nichts von dem finden, was ihre Fragen beantworten könnte. So beschließt sie, die Reise des Großvaters selbst zurückzulegen. Sie marschiert auf seiner Route die 550 km bis nach Wedel, wo sie selbst aufgewachsen ist.
Regisseur Gernot Grünwald findet zusammen mit Jarosław Murawski für die Umsetzung dieses Erlebnisberichts in Buchform eine theatrale Umsetzung, die sich ganz in den Dienst ihres Stoffes stellt. Auf den Halbrund des Bühnenhintergrunds werden nicht nur Karten über die Vertreibungsrouten und Infotexte sondern auch immer wieder Filmaufnahmen von Różyna geworfen. Die Bilder des Dorfes, seiner Landschaft, seiner Straßen und seines Friedhofes geben den Rahmen für die Erkundungen der Enkelin. In der Mitte gibt es ein drehbares Podest, auf der einen Seite ist ein Ess- oder Wohnzimmer zu sehen, das mal in Wedel, mal in Różyna steht, und auf der anderen Seite gibt es acht integrierte Laufbänder, auf denen die Enkelin zusammen mit ihren Weggefährten den Weg nachvollziehen kann. Diese Weggefährten bestehen aus vier Laienschauspieler:innen und vier Ensemblemitgliedern. Olga Thormeyer verkörpert Hoffman. Sandra Flubacher schlüpft in alle weiteren Frauenrollen, Anna Maria Köllner ist die jüngere Christiane, Tim Porath gibt alle Männerrollen. Zwei Kinder schlüpfen in die Kinder-Versionen des Großvaters und von Christiane.
Im heutigen Różyna ist man den deutschen Besuchern gegenüber aufgeschlossen. Das hat auch damit zu tun, dass die neuen Bewohner in den ehemals deutschen Häusern selbst Vertriebene sind. Sie stammen größtenteils aus der Ostukraine, aus Lwiw. Sie wurden ebenso wie die Deutschen ein paar hundert Kilometer weiter nach Norden verschoben. Wenn die deutschen Besucher nun an ihren Esstischen Platz nehmen, wird ihnen die Suppe teilweise in den alten Suppenterrinen aus dem ehemals deutschen Hausrat vorgesetzt, die von damals noch erhalten geblieben sind. Von Schuld spricht hier keiner. Alle sind sie Opfer gewesen.
Wenn Hoffmann zum Schluss nachdenklich über die Traumata spricht, die nicht nur ihre Vorfahren verarbeiten mussten, sondern auch die nachfolgenden Generationen vererbt bekommen haben, wird der Abend plötzlich sehr persönlich und berührend. Sie denkt darüber laut nach, wie lange diese Schrecken noch nachwirken können, um neue Kriege zu verhindern. Damit wird das Stück aktuell, ohne sich um eine Aktualität bemühen zu müssen. Es stellt Fragen, die kaum drängender sein könnten. Wenn Europa auch bisher dachte, vor den Unbillen des Krieges nach den verheerenden Tragödien des Zweiten Weltkrieges gefeiht zu sein, scheint diese Zeit nun vorbei zu sein. So dauern die anschließenden Gespräche im Foyer fast länger als das Stück im Bühnenraum.
Birgit Schmalmack vom 26.12.24
Abbildung: Alles was wir nicht erinnern, TIG - Foto: Armin Smailovic
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