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Wastwater, DT

Zur Kritik von

nachtkritik

Wastwater, Deutsches Theater



Transitbegegnungen

Wie Leuchtmarkierungen auf einer Startrampe flackern die Neonröhren an Boden und Decke (Bühne: Florian Lösche) auf, wenn ein Flugzeug herandröhnt. Sechs Personen laufen derweil ziellos über die Rampe, sie scheinen miteinander zu reden, doch ihre Sätze bleiben aus dem Zusammenhang gerissen, wie Fetzen eines zufällig mit angehörten Gesprächs.
Unabhängig voneinander treffen sie sich anschließend jeweils zu zweit in der Nähe des Flughafens, in diesem Transitbereich des Lebens. In den drei Dialogen ist viel von Vergangenem, von Möglichkeiten, von Enttäuschungen und von Übergängen die Rede. Allmählich werden biographische Verbindungen zwischen ihnen deutlich, wenn sich fast beiläufig einzelne Fäden ihrer Geschichten verknüpfen.
Frieda (Barbara Schnitzler) muss sich von ihrem letzten Pflegekind verabschieden. Harry (Thorsten Hierse) geht nach Kanada. Er will weg. Er fühlt sich schuldig. Er hat das Auto gefahren, in dem sein Freund durch einen Unfall ums Leben kam. Jetzt will er dorthin, wo keiner um diese Geschichte weiß. Frieda muss sich zusammenreißen, um sich nicht von der Leere, Nutzlosigkeit und Einsamkeit, die sie erwarten werden, niederdrücken zu lassen. Sie weiß, dass es ihre Pflicht ist ihn gehen zu lassen. Sie darf sich nicht gehen lassen. Zufällig bemerkt sie einen kleinen Kratzer von einem ihrer Gartensträucher am Bein. Eine gute Gelegenheit, dass Harry sich ein letztes Mal um sie kümmern kann, bevor sie ihm das Versprechen abnimmt, nicht zu sterben, nie!
Ein weiteres ihrer Pflegekinder war Sian (Elisabeth Müller). Ihre schwierige, wechselvolle Jugend hat die junge Frau so abgehärtet, dass sie ihre Erfahrungen jetzt für Geschäfte der nicht ganz legalen Art zu nutzen weiß. Sie kauft Kinder aus Entwicklungsländern und verkauft sie weiter an kinderlose englische Ehepaare. So trifft sie auf Jonathan (Bernd Stempel) für die Übergabe des Mädchens gegen Geld in einer Lagerhalle beim Flughafen. Gleich von Beginn an stellt sie die Machtverhältnisse klar. Sie spielt die Überlegene. Angriff ist die beste Verteidigung. Sie setzt Jonathan unter Druck, um sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen. Der biedere Jonathan tut ihr den Gefallen. Seine Schuldgefühle aus der Vergangenheit, die Sian herauszukitzeln weiß, machen ihn zu einem leichten Opfer ihres Spiels.
Die Polizistin Lisa (Susanne Wolff) und der Kunstdozent Mark (Moritz Grove) sind alte Bekannte. Sie haben sich auf ein Seitensprung-Date in einem Hotel beim Flughafen verabredet. Spielt Lisa zu Beginn noch die Unsichere und Schüchterne, so entpuppt sie sich bald als diejenige, die die Fäden in der Hand hält. Sie offenbart Mark nicht nur ihre überwundene Drogensucht sondern auch ihre Tätigkeit als Pornodarstellerin. Mit ihrem Ehemann kuschele sie nur. Zu so etwas Schmutzigen wie Sex wolle sie ihn nicht benutzen. Dafür braucht sie Mark. Als ihre Wunschvorstellungen immer bizarrer werden, scheint die Atmosphäre zu kippen. Doch dann setzt Marc unvermittelt zum Gegenschlag an und schlägt Lisa dreimal mitten ins Gesicht.
Autor Simon Stephens reißt seine Geschichten nur an. Sie müssen sich im Kopf der Zuschauer weiter erzählen. Regisseur Ulrich Matthes lässt ihnen diesen Raum. Das Nichtgesagte wird genauso wichtig wie die Worte, die sie auszusprechen wagen. Seine Personen bleiben auf Distanz. Sie berühren sich, wenn überhaupt, nur beiläufig. Besonders Susanne Wollf glänzt in ihrer Rolle. Während ihre Lisa die überlegene Verführerin spielt, offenbart sie mit nur einem Augenflackern, mit einem leichten Einknicken in den Kniekehlen, mit einem kurzen Seitenblick in Sekundenbruchteilen ihre wahren Abgründe, um gleich darauf auch diese Wahrheit wieder in Zweifel zu ziehen.
Der tiefste See England gab dem Stück seinen Titel. So dunkel und unergründlich wie dieser bleiben auch seine Figuren. Sie wollen sich zu keinem Ganzen fügen. Sie erlauben dem Zuschauer nicht mehr beruhigende Erkenntnisse als die sechs Personen sich selbst geben können. Die Fragen des Lebens im Transitbereich nach Ziel und Sinn bleiben unbeantwortet.
Birgit Schmalmack vom 15.10.14

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