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Das Schottenstück

Zur Kritik von

nachtkritik

Das Schottenstück, Volksbühne


Geistermusikdurch die Gefühlsspirale gedreht

Die Begegnung mit den verdrängten Emotionen, gut verborgenen Gelüsten, nicht eingestanden Sehnsüchten und versteckten Begierden - das ist das Thema vom „Schottenstück“ in der Volksbühne. Lady Macbeth (Lilith Stangenberg) befindet sich in der Mitte einer Gefühlsspirale, die als drehbare Scheibe in der Mitte eines roten Lackkastens auf den ersten Parkettreihen steht. Ihre Mimik wechselt in Sekundenschnelle von Freude zu Wut, Scham, Panik und Ärger. Muss sie sie aber als First Lady auch stets im Zaum halten, so dient die Musik als Mittel, das erlaubt die Gefühle auszudrücken. Regisseur David Morton scheut dabei keine Genregrenzen. Jazz, Madrigal, Pop, Klassik, Impro, Elektro – alles ist erlaubt, wenn die Gefühle den rechten Ausdruck finden sollen.
Der Bühnenkasten lässt bei Bedarf, wenn seine Lamellen aufgedreht werden, Einblicke in die schneeweiße riesige leere Hinterbühne wie ins Unterbewusstsein zu. Lady Macbeth ist die treibende Kraft in diesem Spiel. Denn ihr titelgebender Gatte ist abwesend. Manchmal benutzt sie den isländischen Musiker als seine Marionette, an deren Fäden sie ziehen muss und dessen deutscher Text von der Hinterbühne souffliert wird.
Stangenberger hetzt wie eine irrlichternde Gestalt, die ihre Mitte verloren hat, über die Bühne. Denn ihr Spiel mit der Macht gerät immer mehr aus den Fugen. Der Griff nach der Königskrone führt in eine Gewaltspirale. Dann spritzt das Blut. Die Beteiligten verstehen zwar selbst daraus noch Kunst zu generieren, die sie gewinnbringend vermarkten können, aber Lady weiß zu welchem Preis. Sie reißt die Bilder von den Wänden. Doch die Vernissagebesucher scheint das nicht zu stören. Sie starren weiter auf die nun leeren Flächen und stimmen einen sanften, vielstimmigen Barockgesang an.
Wer die Story um Macbeth kennt, ist klar im Vorteil, denn die Textbeiträge der Lady werfen nur Schlaglichter auf den Fortgang der Geschichte. Die Musiker und Darsteller bleiben bewusst in ihrer Muttersprache, um das Verständlichkeitschaos von Stangenberger noch zu erhöhen. Marton gelingen einige wunderbare, rätselhafte Bilder. Stimmungsumschwünge sind Programm. Wenn die Trompete immer schriller und atonaler schallt oder die Geige überspringt, werden danach Ruhe verbreitende Choräle angestimmt, um die vergeblich ersehnte Seelenruhe zu erlangen. Das Schmerzensgebet der Maria „Stabat Mater“ veranlasst Lady zu einem ständig wiederholten, trotzigen, verzweifelten: „Noch einmal!“
Das Programmheft besteht größtenteils aus weißen Blättern. Nur die Besetzungsliste und ein Text von Richard Sennett sind enthalten. Darin beklagt er die antrainierte Emotionslosigkeit des modernen Theaterzuschauers, die mit Zivilisation gleichgesetzt würde. So greift Marton zum Genre des Konzerts, denn hier ist noch das Zeigen von Emotionen erlaubt - wenn auch selbst in der Volksbühne auf Theaterstühlen eingeschränkt. So geht es mehr um die innere Gefühlswelt, die hier in Schwingungen versetzt wird, auf die sich jeder seinen eigenen Reim machen muss.
Birgit Schmalmack vom 10.10.13

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