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Yerma, Schaubühne

Die Uhr tickt



Das Publikum sitzt sich in zwei Tribünen gegenüber, nur durch spiegelnde Glasflächen getrennt. Diese entpuppen jedoch nach dem ersten Erstrahlen der Scheinwerfer als ein Terrarium, in dem die Menschen als Protagonisten in einer Versuchsanordnung auftauchen. Die Versuchsbeschreibung lautet dabei wie folgt: Ein Heteropaar, John (Christoph Gawenda) und Yerma (Caroline Peters), beide erfolgreich im Beruf, Ende 30, bisher DINK (Dual income, no kids), stellt nach dem erfolgten Kauf der standesgemäßen Wohnung im gentrifizierten Berlin fest, dass sie leer ist. Nicht nur von Möbeln sondern auch von Menschen. Zumindest der Frau fällt das auf. Sie ist es auch, die meistens in der Stadt verbleibt, während ihr Partner aufgrund allerlei wichtiger Geschäfte in der Welt herumjettet. Ihre spontan geäußerte Lösungsidee: Ein Kind! Halbherzig stimmt er zu, doch zykluskonforme Zeugungszeiten kann er nur selten anbieten. Jahr um Jahr verstreicht, die ersehnte Schwangerschaft bleibt aus. Die Frau, die bisher stets gewohnt war, dass ihre Projekte gelingen, stellt fest: Egal ob sie Empfängnis-Yoga oder Fruchtbarkeits-Smoothies trinkt, es klappt einfach nicht. Ihr spinnerter Einfall aus einer Sektlaune heraus wird erst zu einer fixen Idee und dann zu einem Trauma, das Yerma nicht mehr loslässt.
Dieses Großstadtpaar, das von sich selber feststellen muss: „Wir sind voll das Klischee!“, hat Simon Stone in seinen Experimentierglaskasten gesetzt. Wie schon fünf Jahre zuvor am Young Vic in London ist das seine modernisierte Fassung von Lorcas Stück „Yerma“, das in den 30-ziger Jahren in Spanien spielt. Die Randbedingungen dort sind allerdings ganz andere als im heutigen London oder Berlin. Einzig die ungewollte Kinderlosigkeit ist gleich. Bei Lorca wurde die Frau von ihrem Vater zu einer Ehe mit einem wohl situierten Mann überredet. Sie stimmt zu und hofft auf eine schnelle Mutterschaft, um die Leere zu füllen. Der Ehemann lehnt jedoch wider Erwarten ab. Der Frau wird die einzige Rolle, die ihr als Frau in gehobenen Kreisen zugestanden wird, versagt. Ganz anders in Berlin: Hier will Yerma alles gleichzeitig haben. Das soll doch heutzutage möglich sein: Karriere und Kinder, Wohlstand und Lebenssinn. Das Kind soll das Sahnehäubchen auf dem eigenem Selbstverwirklichungsprojekt sein. Die ultimative Sinnerfüllung, um das Gefühl Spuren in der Welt zu hinterlassen, attestiert zu bekommen.
Caroline Peters ist das Zentrum dieser Aufführung. Sie macht es möglich, dass man in der schlaglichtartigen Umsetzung von Stone dran bleibt. Stone trennt die kurzen Szenen zur stetigen Kulmination des Dramas durch plötzliche völlige Blacks unterlegt mit klassischem spanischem Gesang, bevor er das Terrarium und seine Bewohner wieder dem Sezierlicht aussetzt. Das ist ohne Zweifel sehr effektvoll. Dazu trägt auch die von Zauberhänden umgestaltete Glasbühne während der Total-Blacks bei. Wenn einmal sogar eine vollständige Apartmenteinrichtung hineingebeamt worden ist, steigt der Level der Beeindruckung.
Yermas Veränderung von einer schlagfertigen, witzigen, intelligenten und emanzipierten Businessfrau zu einer zerstörten Trägerin eines Uterus, der leer bleibt, fesselt fast bis zum Schluss. Alle weiteren Figuren geraten mehr und mehr an den Rand. Sie können Yermas Entwicklung nicht beeinflussen. Kein Ausweg, nirgends. Während bei Lorca am Schluss die Frau ihre Wut gegen ihren Mann richtet, bleibt Yerma heute nichts anderes übrig, als zur Selbstvernichtung anzusetzen. Schließlich ist sie kein Opfer mehr, sondern hat sich alles selbst eingebrockt. Man könnte Yermas Mutter glatt zustimmen: „Fatal, diese nächste Generation des Feministinnen.“ Sie selbst hatte noch zur ersten gehört hat und eigentlich keine Kinder gewollt. Sie kann über den Schwangerschaftswahn ihrer Tochter nur verwundert den Kopf schütteln. Wenn einer Frau, die unter der Panik ihrer tickenden Mutter-Uhr von ihren scheinbar unausweichlichen Hormonschüben durchgerüttelt wird, keine andere Handlungsoption bleibt, läuft einiges verkehrt in der heutigen Gesellschaft. Das macht Stone in seiner Fassung überdeutlich.
Birgit Schmalmack vom 12.1.22

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