Gut zu sein ist teuer
Wie soll man gut sein, wenn alles so teuer ist? In diesem Dilemma steckt die junge Frau Shan Te. Als Prostituierte hat sie sich verkauft um zu überleben zu können in dieser Stadt Sezuan, in der das Schlechte oft und das Gute schwer zu finden ist. Das stellt jedenfalls der Wasserverkäufer Wang fest, als drei Götter in die Stadt kommen und er verzweifelt ein angemessenes Quartier für sie sucht. Nur die arme Shan Te ist dazu bereit. Alle anderen haben keinen Blick mehr für Werte, die sich nicht mit Geld bezahlen lassen. Shan Te wird belohnt für ihre Großherzigkeit. Schweren Herzens entschließen sich die Götter es ihr mit Geld zu vergelten. Shan Te will damit eine gute Ladenbesitzerin werden. Doch die Schmarotzer der Stadt rennen der Gutherzigen die Bude ein. Als ihre finanzielle Lage immer auswegloser wird, erfindet sie sich ein zweites Ich, ihren Vetter Shui Ta. Er ist im Gegensatz zu ihr in der Lage, weniger ihr mitsorgendes Gefühl als vielmehr ihren rechnenden Verstand zum Maßstab des Handelns zu machen. Wer Geschäfte macht, kann kein guter Mensch sein. Das wusste der Wasserverkäufer schon immer. Doch zeitweise sieht es so aus, als wenn Shui Ta mit seiner Art mehr Gutes bewirken kann als die weichherzige Shan Te: Er baut eine Tabakfabrik auf, die vielen Menschen von Sezuan Arbeit gibt. Doch weil Shan Te von ihren berechnenden Ex-Geliebten (Sebastian Schwarz) schwanger geworden ist und ihrem Jungen eine bessere Zukunft ermöglichen will, nimmt ihre Ausbeutung der Arbeiter als Shui Ta zu. Die Gier auch unter ihren Mitarbeitern gewinnt die Oberhand. Regisseurin Federike Heller hat dieser Geschichte von Bertolt Brecht leider nicht vertraut. Sie hat sie mit vielen spielerischen Mätzchen künstlich aufgepeppt. Von Anfang an macht sie überdeutlich: Alles nur gespielt! Jeder tut nur so als ob. Der Kostümwechsel findet auf offener Bühne und in Sekundenschnelle statt. Oft wird daraus nur versucht die Klamaukquote zu erhöhen. Das Wunder war: Dieses intelligente und tiefgründige Stück übersteht selbst überaus witzige Regieeinfälle fast unbeschadet. Die differenzierte Betrachtung der Gerechtigkeit des Wirtschaftslebens hat nichts von seiner Aktualität verloren. Das liegt aber auch mit daran, dass Heller mit der Band „Kante“ hervorragende Interpreten der Musik Paul Dessaus gefunden hat. Die Bandmitglieder zeigen, wie man sie auf das Heute übertragen kann ohne vordergründig zu sein. Etlichen Schauspielern merkt man den großen Spaß an der Übertreibung bei der Maskerade an. Dass die Mittel aber bei Brecht nie nur für sich sondern immer für einen Inhalt stehen sollen, gerät bei der großen Spielfreude öfter aus dem Blickfeld. Ernst Stötzner zeigt allerdings in jedem seiner Auftritte, wie es anders geht. Auch er ironisiert seine Texte, doch immer mit dem Sinn für das Doppelbödige des Lebens. Jule Böwe schlägt sich tapfer mit ihrer Doppelrolle. Sie ist als naive gutgläubige Shan Te mit ihrer nöligen Blondchenstimme bestens ausgestattet. Als tougherer Shui Ta gewinnt sie am Schluss in der eindeutigeren Kostümierung zunehmend an Kontur. „Gepriesen sei der gute Mensch“ schunkeln die Ensemble-Mitglieder am Ende der gut dreistündigen Aufführung. Jule Böwe schreit dagegen an: „Ohne Shui Ta geht es nicht!“ Birgit Schmalmack vom 16.10.12
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