Sie sind hier: Startseite
Weiter zu:
hamburgtheater A-Z
berlintheater A-Z
Specials
Archiv
Kontakt
Buchprojekte
Suche
Allgemein:
Endsieg, Schauspielhaus
Steife Brise vs. Poetry Slam, Centralkomitee
Kleiner Mann, was nun?, Ohnsorg
St Pauli Theater meets Elphilharmonie 2025
Der Zusammenstoß, Malersaal
Dat Frollein Wunder, Ohnsorg
Die Maschine, DSH
Candlelight Concert: Hans Zimmer, MARKK
Schachnovelle, Altonaer Theater
Correctiv, Kampnagel
Abbildung: Schachnovelle, Altonaer Theater - Bühne Cipolla
Auf der Bühne scheint der Bug eines Schiffes gestrandet zu sein. Mit bunten Girlanden geschmückt, mit Rettungsreifen und Feuerlöscher versehen und mit Bullaugen, in denen sich Fische wie in einem Aquarium bewegen. Windgeräusche sind zu hören. Doch nicht aus dem Off. Der Musiker und Komponist Gero John imitiert sie mit seinem Akkordeon. Hier wird alles direkt, live und ohne doppelten Boden erzeugt. Auch der Puppenspieler und Regisseur Sebastian Kautz, der schon zu Beginn als Matrose mit dem Bühnenmaterial spielt, legt seine Mittel stets offen. Er schlüpft in die Rollen seiner Puppen, ohne sich selbst zu verstecken.
Die Passagiere auf diesem Schiff sind etwas skurril. Da ist einmal der Kapitän, der als wieselige Ratte daherkommt, die alle zu umgarnen versucht. Dann ein gerade gekürter, junger, überheblicher Schachweltmeister, der wie ein Popstar verehrt wird. Er wird hier durch eine stumme Schaufensterpuppe mit Plüschjacke zu nacktem Oberkörper und Sonnenbrille verkörpert. Und ein amerikanischer Unternehmer, der glaubt sich mit Geld alles kaufen zu können. Er mutiert auf der Bühne zu einem Rettungsreifen, den sich der Puppenspieler um den Bauch hängt und dem er eine dicke Zigarre in die aufgezogene Mundtasche steckt. Als der Businessman sich auf ein Schachspiel gegen den Weltmeister einlässt, mischt sich unvermittelt ein anderer Gast an Bord ein. Er sitzt im Rollstuhl. Es ist Dr.B. Warum er über so besondere Kenntnisse im Schachspiel verfügt, wird nun im Rückblick erzählt. Dazu schlüpft der Puppenspieler mit einer Hand in den Hemdsärmel von Dr. B. und mit der anderen in seinen Kopf, um den Mund der Puppe zu bewegen.
Als die Deutschen während des zweiten Weltkrieges in Österreich einmarschierten, verhafteten sie den Anwalt Dr. B.. Er kam in Einzelhaft. Um in der absoluten Leere und Ereignislosigkeit nicht verrückt zu werden, spielte er die Schachpartien berühmter Weltmeister nach. Und zwar im Kopf und gegen sich selbst. Bald konnte er nicht mehr feststellen, ob er noch spielte oder schon dem Wahnsinn der Schizophrenie verfallen war, die diese Situation erforderte. Doch sie erfüllte ihren Zweck: Sie hielt seinen Geist wach und verhinderte, dass er auf die Tricks der Verhöre hereinfiel.
Für die Spaltung seiner Persönlichkeit, die dafür nötig war, findet der Puppenspieler ein überaus passendes Bild: Er teilt den Kopf der Puppe in zwei Hälften und lässt sie gegeneinander antreten. Die eine Hälfte ist auf der Rückseite schwarz, die andere weiß, ganz wie die Schachfiguren. Im Gastspiel der Cipolla Bühne auf der Bühne des Altonaer Theaters wird aus der Erzählung von Stefan Zweig "Schachnovelle" durch geschickte Vor- und Rückblenden ein spannendes Theaterstück. Der Bug des Schiffes verwandelt sich mit wenigen Handgriffen in die Einzelzelle von Dr. B. Der Musiker erschafft mit Cello, Akkordeon, Loopstation und Singender Säge einen Soundtrack, der zu einem weiteren Spieler auf der Bühne wird. Kautz gelingt es in seinem wandlungsfähigen Spiel sowohl die Passagiere zu karikieren wie die labile, desolate und verzweifelte Verfassung von Dr.B. nachfühlbar werden zu lassen.
Birgit Schmalmack vom 10.1.25
Abbildung: Schachnovelle, Altonaer Theater - Bühne Cipolla
Gehe zu: Candlelight Concert: Hans Zimmer, MARKK Correctiv, Kampnagel