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Wer ist dieser Fremde mit den seltsamen Eigenschaften, der mir nie gesagt hat, dass er mich liebt? Warum haben wir nie über das wirklich Wichtige gesprochen? Warum dieses Schweigen? Und wie beeinflusst diese Figur, die der Vater war, das Leben der Söhne?
All diese Fragen müssen ohne die Väter geklärt werden. Sie sind abwesend. Auch hier auf der Bühne, nur manchmal tauchen sie in der Verkörperung durch ihre Söhne auf, doch aus ihrer Imagination heraus, nicht aus einem tatsächlichen Wissen. Denn die Väter haben sich hartnäckig dem Austausch verweigert. Sie haben ihre Ängste, Sehnsüchte und Bedürfnisse totgeschwiegen. Sie wollten einem Vaterideal entsprechen, wie es auf der Bühne als Denkmal aufgestellt ist. Auf dem Sockel steht ein hohes Vatermonument, das in die Höhe ragt. Doch es ist schwarz und tot. So bietet es genügend Stoff, um sich an ihm abzuarbeiten. An diesen Vätern, deren liebster Freund das Auto ist, die ihre Söhne zu Alphamenschen machen, die sie zu Kämpfern erziehen wollen, die die ihnen in Liebesdingen kein Vorbild sein können und statt offen zu sprechen lieber die Faust erheben. Denn wer keine Liebe erfahren hat, kann auch keine geben.
Fünf Vater-Sohn-Geschichten werden hier erzählt, nein eigentlich sechs. Denn zu Beginn steht Falk Richters eigene. In einem langen Monolog, den Jonas Dassler stellvertretend für Richter bravourös und spannungsgeladen interpretiert, erzählt er davon, dass sein Vater in seinem Sohn eigentlich nur einen falschen Fuffziger, einen Störfaktor sah, der die Existenz der gesamten Familie gefährden könnte. Warum diese Vehemenz? Als der Vater herausfindet, dass der Sohn sich zu Männern hingezogen fühlt, wirft er ihn gegen die Wand. Diese Anwandlungen, ist er überzeugt, gehören ausgetrieben.
In einem imaginierten Gespräch auf dem Totenbett des Vaters wird ganz am Schluss der Spurensuche deutlich: Wer als Jugendlicher noch 1944 in den Krieg gezwungen wurde, wer in den Schützengräben die Leichenteile seiner Kameraden durch die Luft fliegen sah und wer eigenhändig Männer wie ihn selbst ermordet hat, der kann nur weiterleben, wenn er alle Gefühle in sich abtötet.
Die Söhne stellen sich nun die Frage, wie man selbst als Mann sein Leben gestalten will. Wie kann man es besser und anders machen? Als schwuler Mann scheint man gefeit vor der normalen Familie-Haus-Kind-Auto Modell, doch weit gefehlt. Seit Männer auch andere Männer heiraten dürfen, droht auch ihnen die Gefahr der Abnutzung durch die Ödnis der Alltäglichkeit und das allmähliche Schwinden des Begehrens.
Doch Richter bleibt nicht bei seiner eigenen Vater-Sohn-Geschichte stehen, er versucht vielfältige Vaterbilder auf der Bühne entstehen zu lassen. Väter, die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, Väter, die als Solo-Kriminelle ihr Geld erbeuteten, Väter, die statt Musiker Versicherungsmakler wurden, Väter, die mit dem Sohn Mustafa-Schneemänner bauen, Väter, die wütend werden, weil sie anscheinend eine "Kartoffel" erzeugt haben, und sogar Väter, die ständig über ihre Gefühle reden wollen. So entstehet ein vielstimmiges Kaleidoskop von Vater-Sohn-Beziehungen, die aber alle eines gemeinsam haben: Die Väter sind nicht greifbar, sie entziehen sich dem Austausch. Bis auf einen: Jonas Dassler betont am Ende seines Eingangs-Monologs: Das ist nicht meine Geschichte: Denn sein Vater sitzt in der ersten Reihe, wie bei jeder Aufführung von "In my room" und sei sehr stolz auf seinen Sohn.
Vielschichtig analysiert Richter mit seinem exzellenten Ensemble (Emre Aksizoǧlu, Knut Berger, Jonas Dassler, Taner Şahintürk, Lindy Larsson) die unterschiedlichen Sehnsüchte, Ängste, Widersprüche, Geheimnisse und Erwartungen zwischen Vätern und Söhnen. Mit großer Empathie, Leidenschaft und mitreißenden Liedern wie "He lives in a world of his own", "Working class hero" oder "Boys don't cry", speziell ausgesucht für die Väter. Standing Ovations am Schluss für diesen großen, bewegenden Theaterabend.
Birgit Schmalmack vom 19.10.23