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"Ich werde dir nie vergeben." Das sagte einst der Siebenjährige zu seiner Mutter. Denn sie hatte ihn zurückgelassen in der Türkei, als sie zum Arbeiten nach Deutschland ging. Jetzt ist es umgekehrt: Sie ist in die Türkei zurückgezogen und er lebt in Deutschland. Nie konnte das Band der Verbundenheit, das so früh gekappt wurde, wieder geknüpft werden. Auch jetzt, als die Mutter (Çiğdem Teke), unheilbar krank, nach Deutschland kommt, um ihren Sohn (Taner Şahintürk) ein wahrscheinlich letztes Mal zu sehen. Einsehend dass es für eine Versöhnung mit dem Geschehenen wohl zu spät ist, will sie nun wenigstens eines erreichen: Er soll heiraten und Kinder bekommen.
Zu Mutters Erstaunen gibt es sogar eine Frau an der Seite ihres Sohnes: Moria. Obwohl sie ihren Sohn für beziehungsunfähig hält. Die Sache könnte einen Haken haben: Moria (Sesede Terziyan) ist Jüdin aus Tel Aviv. Doch wer in der Wüste Früchte anbauen könne, könne vielleicht noch aus ihrem Sohn einen guten Ehemann machen, so hofft sie. So verbündet sie sich kurzerhand mit der Freundin ihres Sohn und beide schicken den Jungen zum Milchholen.
Autor und Regisseur Hakan Savaş Mican macht aus dieser Grundsituation in seinem 2. Teil der Stadt-Trilogie "Berlin Kleistpark" eine Arbeit, die viele Ebenen anbietet. Da ist einmal die Handlungsebene zwischen den drei Protagonist:innen live auf der Bühne. Dann die Ebene der auf die Rückwand projizierten Filmaufnahmen von nächtlichen Spaziergängen oder Autofahrten durch Berlin. Zwischendurch greift Terziyan immer wieder zum Mikro und singt melancholische Chansons, mal französisch, mal auf armenisch. Von Zeit zu Zeit sind auch Filmaufnahmen von Micans eigener Mutter zu sehen, wie sie in einem leeren Zimmer zwischen Unmengen von Porzellan und Kristall herumläuft, das sie in ihrer Zeit als Gastarbeiterin in Deutschland gekauft und für eine bessere Zeit in der Türkei aufgespart hat, die aber nie eingetroffen ist. Nun muss sie erkennen, dass dieses Zeug für sie völlig wertlos geworden ist. Nur zwei kleine pinke Osterhasen wird sie zurück mit in die Türkei nehmen. Alles andere zum Schrotthändler?
In der Hauptgeschichte setzt Mican auf sehr schnelle Szenenwechsel und knackige, schmissige Dialoge, die kein Klischee auslassen. Erst durch die weiteren Ebenen, die sich wie ein Filter vor diese schieben, erhält diese autobiographisch konnotierte Stadterkundung ihre tiefe Nachdenklichkeit, beeindruckende Vielschichtigkeit und berührende Melancholie. Beim Gastspiel des Berliner Gorki Theaters im Rahmen des Festivals "Nachbarschaften" kam ein großer Teil der Zuschauer:innen aus der türkischen Community in die Gaußstraße, denn hier werden andere Geschichten erzählt als sonst auf Stadttheaterbühnen üblich. So ziehen sie auch in Hamburg andere Publikumsteile aus der Stadtgesellschaft an und finden sich auf der Bühne wieder. Wie das Schicksal der Kofferkinder und -eltern nicht ihre Vergangenheit sondern ihre Gegenwart stark beeinflusst, macht Mican nachfühlbar. Nicht nur für diejenigen, die über eigene Erfahrungen mit diesem Thema verfügten. Ein Abend, in dem es um die komplexe Verflechtung von Geld, Schweigen, Verletzung und transgenerationale Weitergabe in Beziehungen geht und der in seinem gekonnten, leicht verrätselten Arrangement viel Raum für individuelle Gefühle, Interpretationen und Gedanken aller Zuschauer:innen ließ.
Birgit Schmalmack vom 15.11.23
Abbildung: Berlin Kleistpark, Gorki - Ute Langkafel MAIFOTO
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