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Die Partei hat immer recht
Wilhelm (Christian Grashof) singt dieses Lied auch an seinem neunzigsten Geburtstag immer noch mit erhobener Faust, die er in die Luft boxt. Er ist der überzeugte aufrechte Parteigenosse, der sich nie erlaubt hat an der einzig richtigen Gesellschaftsform des Sozialismus zu zweifeln. Vor Nazideutschland geflüchtet, im Lager gesessen, in den Kriegswirren verletzt, im Exil gewartet, Kinder im Krieg verloren – die Spuren der Vergangenheit sind unübersehbar und wollen in der eigenen Rückschau erklärt werden. Dazu bedienen sich die Menschen gerne unterschiedlicher beschönigender Hilfskonstruktionen.
Etwas anders sehen das die nachfolgenden Generationen. Sein Sohn Kurt (Bernd Stempel) ist zwar äußerlich in seine Fußstapfen getreten, kann sich aber durch den Umsturz der geschichtlichen Verhältnisse weniger gut vor kritischen Gedanken schützen, die sein Leben in Frage stellen würden. Kurts Sohn Alexander (Alexander Khuon) zieht weitergehende Konsequenzen: Er stellt sich der Pleite seiner biographischen Wurzeln, hat ihr aber leider nichts Neues entgegen zu setzen. Schließlich weiß er, dass kein neues Gesellschaftskonstrukt es mit der Geschlossenheit der Utopien seiner Vorfahren aufnehmen könnte. So torkelt er scheinbar orientierungslos durchs Leben, bekommt mit 22 sein erstes Kind mit einer Frau, die er kaum kennt, trennt sich bald darauf wieder, geht in den Westen, besetzt ein Haus, bricht sein Studium ab, erfährt dass er Krebs hat und flüchtet nach Mexiko, wo er einst seine Großmutter im Exil besuchte.
Dieser Alexander wandert durch die hölzerne Einbau-Schrankwandästhetik der Bühne, öffnet Schrankklappen, verschwindet hinter Schranktüren, guckt Fernsehen hinter einer Kommodentür. Er setzt sich auf Stühle zu seinen Ahnen, auch wenn er noch gar nicht geboren ist. Denn Eugen Ruges Roman und Theaterfassung springt zwischen den Zeiten von 1952 bis 2001 und Orten von Mexiko bis Berlin hin und her. Er zeichnet eine desillusionierende Entwicklung eines nahen und doch so fernen Landes nach: der Ex-DDR. Er ist prall voll mit Geschichten.
Auch auf der Bühne des Deutschen Theaters werden viele von ihnen erzählt. Das braucht drei Stunden und viel Raum. Wahren Austausch, echte Diskussionen und intensive Auseinandersetzung gibt es zwischen den Personen nicht, zu viel steht für sie auf dem Spiel. Jeder Streit stellt das ganze eigene Leben zur Disposition. So setzt Regisseur Stephan Kimmig auch eher auf das Mittel der Monologe. Dann setzen die Menschen zu großen Reden an und versuchen damit rückwirkend ihr Leben zu rechtfertigen. Ihr Gegenüber mit seiner Meinung stehen zu lassen, würde die Negierung ihrer eigenen Biographie bedeuten. So sehen es jedenfalls die Männer dieser Geschichte, den Frauen kommen eher die Rollen der Vermittlerinnen, der Diplomatinnen und der still Leidenden zu. Die Mutter (Margit Bendokat) von Kurts russischer Frau Irina zelebriert mit stiller Wehmut und glücklicher Miene ihre Erinnerungskultur an Slava. Irina (Judith Hofmann) dagegen ertränkt ihre unverarbeiteten Verluste und ihre Unzufriedenheit im Alkohol. Ihre Schwiegermutter Charlotte versucht die Wogen zwischen den Generationen zu glätten und für Vermittlung zu sorgen ohne je eine klare Position einzunehmen.
Ruge hat psychologisch genau für jede Generation ihre Haltung herausgearbeitet. Kimmig wagt gegen diese Perfektion kaum eine eigene Position, so arbeitet er die Offenbarungen der einzelnen Seelenzustände mit den tollen Schauspielern in Einzelauftritten sehr sauber heraus. Ein voller, reicher Theaterabend, der aber dennoch zum Plädoyer fürs Lesen des Buches wird.
Birgit Schmalmack vom 13.10.13
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