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Der Tisch ist dicht vor der hinteren Plexiglaswand aufgebaut. Die Schauspieler sitzen um ihn versammelt, alle mit einem Buch in der Hand. Als der letzte Zuschauer Platz genommen hat, tritt Katharina Matz hervor und will beginnen: „Franz Kafka, Das Schloss.“ Protest aus der hinterer Ecke: „Wir müssen vorne spielen! Wir müssen näher ran!“ Moritz Grove stänkert so lange, bis die Crew ihn in einer demokratischen Abstimmung hinausbefördert. Matz beginnt erneut. Doch nach wenigen Sätzen haben sich alle Schauspieler mit Hilfe des Textes nach vorne gespielt und sind am Bühnenrand angekommen. Grove nimmt triumphierend vor ihnen Platz. K. (Grove) ist da. Er ist der Fremde, der in das Dorf eindringt, der sich unbedingt Zutritt zum mysteriösen Schloss verschaffen will, der hoch hinaus will und weiß, dass er dafür den Weg durch die Instanzen antreten muss. So spielerisch beginnt Erpulats Inszenierung von Kafkas Romanfragment.
Nichts hätte näher gelegen, als diese Geschichte in ein Deutschland zu verlegen, in dem ein Mensch mit Migrationshintergrund den Aufstieg versucht und scheitern muss. Doch Regisseur Nurkan Erpulat, zuvor mit einer furiosen Inszenierung am Ballhaus Naunynstraße bekannt geworden, steht für „postmigrantisches Theater“ und lässt sich für solche Deutungen nicht vereinnahmen. So ist K. ein blonder Deutscher, der verzweifelt versucht sich durch die undurchschaubaren bürokratischen Strukturen des ominösen Schlosses und die unverständlichen Regeln der Dorfgesellschaft zu lavieren, um Zugang zu finden zu dem Land, in dem er gelandet ist. Kafkas beklemmende Fantasien werden so zwischen den herauf- und herunter fahrenden Plexiglaswänden, die je nach Lichteinfall durchsichtig oder spiegelnd wirken können, szenenweise nachgespielt. Erpulat verallgemeinert damit die Problematik, rückt sie aber im Gegensatz zu Groves erstem Wunsch auch weiter vom Zuschauer weg, indem er ihr keinen identifizierbaren Rahmen gibt. Er überlässt es dem Zuschauer seine Assoziationen selbst zu finden. Diese vorsichtige Zurückhaltung zahlt sich nicht immer aus. Da es in dem Roman mehr um eine Atmosphäre als um Handlungen geht, versucht Erpulat diese zu erzeugen.
Das gelingt ihm nur völlig überzeugend, wenn er Geschichten erzählt. Ein dichter Moment gelingt, als K. Frieda begegnet und eine zarte Liebesgeschichte erzählt wird. Das liegt auch an Sesede Terziyan, die in ihrem Spiel die Zerrissenheit ihrer Figur zeigt. Das einfache junge Mädchen Frieda war dadurch ausgezeichnet worden, dass sie zur Geliebten eines Beamten auserkoren wurde. Dieser sprach zwar nicht mit ihr, aber er rief ihren Namen. Das alleine war eine Auszeichnung, der ihr einen bescheidenen beruflichen Aufstieg ermöglichte. Das wirft sie zunächst alles beiseite, als K. ins Dorf kommt. Doch dann besucht K. eine geächtete Familie des Dorfes und zwingt sie sich von K. zu trennen. Als die Tochter der ausgestoßenen Familie K. bei diesem Besuch von ihrer Geschichte erzählt, gelingt ein weiterer anrührender Moment: Thorsten Hierse macht das zu einem großen Monolog, gerade weil er sich jeder vordergründigen Theatralik verweigert.
Die Bühnenfassung endet auf der Bühne genauso wie das Romanfragment, mitten im Satz, den Moritz Grove, das Buch wieder in der Hand, vorliest. Und zwar ganz vorne an der Bühnenrampe und doch weit vom verwirrten Zuschauer.
Birgit Schmalmack vom 11.4.12
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