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Die Mitschuldigen, Monbijoutheater

Zur Kritik von

theater-nachtgedanken
taz
Anja Röhl

Die Mitschuldigen





Mal nicht Shakespeare sondern "Göthebier"

Das Berliner Holztheater Hexenkessel im Monbijoupark steht für Volkstheater, das mal derbe, meist überzeichnet, mal hintergründig, mit kleinen kritischen Seitenhieben versehen und stets unterhaltend ist. Normalerweise zeigt es Stücke von Shakespeare oder Moliere, die sich bestens dafür eignen. Das sie sich nun an einen Goethe-Text wagen, ist ungewöhnlich. Der Weimarer Klassiker als volksnaher Autor? Eher unbekannt. Dass sein Stück "Die Mitschuldigen" kaum jemand kennt, hat seine Gründe: Es passt in keiner Weise zu dem Image des berühmten Vorzeige-Gelehrten, -Intellektuellen und -Dichter. Also doch passend für den Hexenkessel? Einer der Hauptdarsteller gibt zu: Auch sie hätten Probleme mit diesem Stück gehabt. Es sei ein schreckliches Machwerk des sehr jungen Goethe, das sie nur in 14-einhalb harten Probenwochen einigermaßen präsentabel gekriegt hätten. Doch auch jetzt ließe es sich nur mit viel Bier ertragen, findet er. Mal nicht Shakespeare sondern "Göthebier". Gleich drei Flaschen kippt er sich hinter die Binde und verteilt die anderen Exemplare aus der Kiste großzügig auf der Bühne und unter dem Publikum.
Aus dem Säufer und Spieler Söller (Tobias Schulze) im Vierpersonenstück wird so der rotnasige Narr im gelben Narrenkostüm, der immer wieder aus seiner Rolle aussteigen, das Stück bewerten, kommentieren und verfeinern darf. Er ist hier eh der Outsider. Seine süße Ehefrau Sophie (Rosa Landers) ist ebenso unzufrieden mit ihm wie sein Schwiegervater. Der Wirt (Matthias Horn) wollte sich eigentlich nach der Verheiratung seiner Tochter gemächlich in sein Wirthaus zur Ruhe setzen und Söller beim Arbeiten zusehen. Er kommt als ein dickbäuchiger neugieriger Grantler im braun-beigen Anzug mit kurzen Hosen und grünen Strümpfen daher. Sophies unter Pflichtgefühlen vergrabenen Sehnsüchte brechen wieder auf, als ihr einstiger Geliebter Alceste (Florian Kleine) sich im Wirtshaus einquartiert. Alceste präsentiert sich als eitler Gockel im hellblauen Glanzanzug. Doch als Projektionsfläche für Sophie ist der Schönling perfekt.
Als alle vier in Alcestes Kammer aufeinander treffen, sich aber nicht sehen können, ist das ein komödiantisches Paradestück, das im Monbijoutheater natürlich bis ins Letzte ausgekostet wird. Alle vier haben unterschiedliche Interessen: Der stets klamme Spieler Söller will Alceste Geld, der neugierige Wirt will Alceste wichtig aussehende Korrespondenz und Sophie will ein Rendezvous mit Alceste. Schuldig machen sich hier also alle, was die Komödie zu ihrem bescheidenen, dramaturgischen Höhepunkt treibt.
Alle Figuren sind eindeutig als wandelnde Karikaturen angelegt. Dieses Stück hat keinen Tiefgang zu erwarten; das wird in jedem Moment überdeutlich gemacht. In jedem? Auch die eingeschobenen Nebensätze haben die Macher im Monbijoutheater bei Goethe ausfindig gemacht und nutzen sie für ihre Zwecke. "Allein, ihr großen Herrn, ihr habt wohl immer recht! Ihr wollt mit unserm Gut nur nach Belieben schalten; Ihr haltet kein Gesetz, und andre sollens halten?"
So reicht es Söller kurz vor dem zu erwartenden Happy-End. Er unterbricht das Stück wieder einmal und fordert die Zuschauer auf, ihr Fäuste zu erheben und aufzustehen. Das Stück sei jetzt zu Ende. Sie sollen hinausgehen und das neue Stadtschloss anzünden! Natürlich nur ein Scherz. Und so wird das von Goethe geschriebene versöhnliche Ende mit verteilten Rollen auf dem Bühnenpodest brav heruntergeleiert, sich verbeugt und Schluss.
Man merkt: Goethe als Volktheaterautor zu inszenieren erfordert viel Aufwand. Der versierte Regisseur und Dramaturg Maurici Farré musste mit viel detektivischem Spürsinn das magere Stück abgrasen, um den Spielern und dem Publikum dennoch zu einem spaßigen und nicht ganz bodenlosen Abend zu verhelfen. Die Mittel der Überzeichnung, des Klamauks, der Seitenhiebe und des Rollenaustritts nutzt er gezielt. Doch es gilt für ihn die Balance zu halten. Wir sind hier nicht in der Volksbühne. Was dort zu einer Kunstform erhoben wurde, muss im Hexenkessel immer noch massentauglich bleiben.
Birgit Schmalmack vom 9.8.18

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