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Spiegelneuronen, Kampnagel
KEIN SCHÖNER SCHLAND, Hf MT
IM CABARET, AU CABARET, TO CABARET, HfMT
Eigengrau, Sprechwerk
Der alte Mann und ein Meer, HfMT
Zu Schad, Tonali
A PLACE CALLED HOME, Kampnagel
Ocean cage, Kampnagel
Der eigene Tod, DSH
Gesetze schreddern, Malersaal
Halb Zarentochter, halb Skelett
Die Erinnerung ist wie ein Baumarkt, aus dessen Regalen sich jeder die Zutaten für seine Vergangenheit nehmen kann. Das Gedächtnis liefert keineswegs ein Abbild der Wirklichkeit sondern ist ein subjektiver Gestaltungsprozess jedes Einzelnen. Doch darf man sich eine völlig fremde Identität zu eigen machen?
Anna Anderson ging in ihrem Gestaltungsprojekt sehr weit. In einer einsamen Nacht war sie in den Berliner Landwehrkanal gesprungen. Nach der 4000 km langen Flucht von Jekaterinburg nach Berlin war die Aufnahme in das dunkel schimmernde, sanft wogende Nass zu verlockend gewesen. Lebt sie noch oder ist sie schon im Reich der Toten? Im weißen Prinzessinnenkleid zu gelben Kniestümpfen und ebensolchen Turnschuhen steht A. vor den ZuschauerInnen. Von vorne ist sie eine junge Frau mit langen dunkeln Haaren und dunklen Augenringen, von hinten blicken einen die leeren Augen eines Totenschädels an. Hinter ihr eine riesige Bettdecke. Unter ihr verkroch sich Anna, als sie nach ihrem Selbstmordversuch in die Irrenanstalt eingeliefert wurde. Auf sie werden nun ihre eigenen Fantasien und die ihren Zeitgenossen projiziert. Um die Zarentochter Anastasia, die 1917 nach der Oktoberrevolution mit ihrer Familie ermordet worden sein soll, ranken sich immer neue Gerüchte. Anna Anderson gab ihr Nahrung, als sie behauptete in Wirklichkeit Anastasia zu sein.
Viel Stoff für die Regisseurin Cora Sachs und ihre Dramaturgin Anne Rietschel. Zusammen mit ihrem Team finden sie eine zugleich reduzierte und dennoch verspielte Form für ihre Spurensuche. Mit nur einer Schauspielerin, die sowohl die vermeintliche Anastasia wie alle Zeugen des Falls spielt, und nur einem Requisit, der Riesenbettdecke, die sowohl zu Bett, Sofa, Mantel, Rock, Zelt, Hügel wie zu einem wogenden Wellengebirge werden kann, gestalten sie die Recherche. Die Decke eignet sich zugleich perfekt für die Projektionsfläche des zahlreichen DokuMaterials, das sich zu diesem Fall Anastasia finden lässt. So ist A. Ermittlerin in eigener Sache. Wie eine Zauberfee lässt sie mit einem Fingerschnipsen die Beweisfotos auf der weißen Leinwand erscheinen und verschwinden. Sicht- und hörbar sind einige der angeblichen Beweisvideos verfremdet. Die vermeintlichen Zeuginnen haben riesige Kulleraugen oder große Schmollmünder. Doch zum Schluss schwindet die Kraft von A.s Zauberfinger. Während sie noch versucht mit einer Fülle an weiteren Fakten mehr Licht ins Dunkel zu bringen, drängen sich die Bilder und die Musik des Century-Fox-Musicals "Anastasia" immer mehr in den Vordergrund. So dreht sich A. zum Schluss selbst wie eine aufgedrehte Spielpuppe im Kreis und sinkt schließlich ermattet zu Füßen ihres gezeichneten Alter Egos auf den Boden. Gegen die Fantasie eines Hollywoodimperiums ist selbst sie machtlos.
Cora Sachs macht in ihrer jüngsten Arbeit deutlich, dass das Leben oft die besten Stoffe liefert. Mit ihrer biographischen Recherchearbeit gibt sie den zahlreich sprudelnden Gerüchte um die Zarentochter einen Rahmen, der über die persönliche Geschichte hinausweist. Dank ihrer äußerst wandlungsfähigen und verschmitzten Darstellerin Lisa Ursula Tschanz wurde diese Spurensuche zu einem unterhaltsamen und erkenntnisreichen Vergnügen.
Birgit Schmalmack vom 14.1.20
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