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Pollesch war schon immer gut im Spuren verwischen. Keine seiner Stücke verhandelte klare Figurenzeichnungen, definierte Handlungsstränge oder greifbare Geschichten. Bei ihm ist es eher so, als wenn jemand den Wasserhahn aufgedreht hat und herauskommt ein Gedankenstrom aus Diskurs-Schnipseln, die sich so ineinander vermischen, dass sich beim längeren Zuhören immer neue Sinnzusammenhänge ergeben und sogleich wieder verloren gehen. Doch bei seiner neusten Arbeit passt dieses Verwischungskonzept auch zu dem Titel: Pollesch arbeitet sich an der Figur des Verwandlungskünstlers und Verbrechers "Fantomas" ab. Obwohl dieser in der Verkörperung von Louis de Funès in Frankreich sein Unwesen treibt, scheint er hier nach Amerika transformiert worden zu sein, wahlweise nach Detroit, Nashville oder doch nach Petersburg? Da ist man sich auf der Bühne selten einig. Auch diesbezüglich: keine Eindeutigkeit. Und was die Sicherheit in Sachen Staatsorgane angeht: Auch hier sind die Seiten fließend. Ob KGB oder FBI, spielt keine entscheidende Rolle.
Doch während Pollesch seine mäandernden Sprachergüsse sonst auf gut verdauliche 70 bis 90 Minuten ansetzte, verlängert er sie dieses Mal auf gut drei Stunden. Überhaupt scheint er mit dieser Arbeit an alte Zeiten erinnern zu wollen. Castorf lässt grüßen. Leonard Neumann (der Sohn von Altmeister Bert Neumann) hat die Bühne gebaut. Ein Bautenensemble aus offenem Hausgerüst und geschlossener Jurte auf der Drehbühne mit vielen Vorhängen, die zu Projektionsflächen umgewandelt werden können. Denn mindestens die Hälfte des Abends wird als live produzierter Film gezeigt. Die Jurte ist statt mit einer amerikanischen Flagge, die Martin Wuttke zu Beginn in einer unfallträchtigen Aktion an das Holzgestell der Wohnung tackert, mit allerlei russisch anmutenden Dekorationsgegenständen an den Stoffwänden ausgestattet. Sie ist somit gut abgeschirmt, allerdings natürlich von den allgegenwärtigen Kameras überwacht, die alles nach draußen projizieren.
Pollesch leiht sich nicht nur Material bei Louis de Funès, sondern auch aus der Netflix-Serie "The Americans", in der ein russisches Geheimdienstehepaar undercover als amerikanische Durchschnittsfamilie in Washington lebt, oder aus Andrej Belyjs Roman "Petersburg", in dem im vorrevolutionären Russland ein Bombenattentat geplant wird, und bei dem Personenarsenal Dostojewskis.
In der offenen Wohnung herrscht reger Betrieb, hier zieht nicht nur das KGB-Paar ein, das zu Spionagezwecken aus Moskau angekommen ist, sondern legt sich auch der Kommissar des FBI zu Bett, backt Fantomas Kuchen und quetschen sich die Kameraleute zu viert in die Räume. Was zu dem Kalauer als Running-Gag führt, dass man doch wohl kaum im Geheimen leben kann, wenn das Haus nicht einmal Wände habe.
So ist ein Castorf-Pollesch-Style entstanden. Mit Castorf-Personal wie Martin Wuttke und einem Pollesch-Star wie Kathrin Angerer. Allen hat Pollesch seine Texte auf den Leib geschrieben. Alle bekommen ihren gebührenden Soloauftritt, doch in seiner Länge unterschiedlich gewichtet. Wer in alt bewährter Manier diese Monologe zu einer Einzelperformance ausgestalten kann, dessen Darbietungen dürfen länger werden. So darf Wuttke in der Mitte zur Erheiterung eines eventuell schon etwas überanstrengten Publikumsteils eine fast viertelstündige Einlage der verschiedensten Möglichkeiten der Verstellung und Maskierung eines Menschen slapstickhaft darbieten. Das ist Comedy at its best. Wie es überhaupt Wuttke und Angerer am besten gelingt, die Zauderhaftigkeit, Sprunghaftigkeit und Unsicherheit mit einer gehörigen Portion Spontan-Image umzusetzen. Während der Dritte im Bunde, der Selbstdarsteller Benny Claessens immer direkt am Nervenzusammenbruch spielt, beherrschen Wuttke und Angerer die Beiläufigkeit, die den Textwürsten gut tun. Die beiden jüngeren Schauspieler:innen (Campbell Caspary, Sonja Weißer) agieren dagegen mehr als Sprecher:innen denn als Interpretinnen. Sie jagen dafür eindrucksvoll als Fontamas-Batman-Verschnitte im schwarzen Ganzkörperanzug mit Umhang über die Bühne und treiben als schwarze Wesen ihr Unwesen. Wir sind eben alle ein wenig Fantomas und tragen unsere Masken. Das einzige Gefühl, das echt ist, sei die Angst, wie Angerer einmal bemerkt. Doch wenn sie an anderer Stelle bemerkt, dass ihr das Wort Terror gänzlich unbekannt sei, muten das in diesen Zeiten ein wenig eskapistisch an. Wie auch das unkommentierte Setting zwischen KGB und FBI etwas unzeitgemäß. Eben doch alles nur Theater.
Birgit Schmalmack vom 1.11.23
Abbildung: Fantomas, Volksbühne - © Apollonia T. Bitzan
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