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Willkommen im Museum des Tanzes. An die Hand genommen von der Wissenschaftlerin Estelle Zhong Mengualwird man an diesem Abend durch eine Ausstellung geführt, die sich einmal nicht mit bildenden Kunstwerken sondern mit für die Tanzgeschichte bedeutenden Choreographien beschäftigt. Auch ein Oberthema der Ausstellung ist vorhanden: der Ausdruck des Nichtmenschlichen im Tanz.
Wie es in einem Museum so üblich ist, sind die Ausstellungsstücke kuratiert, d. h. in diesen Fall wurdeneinzelne Choreographien von Jerome Bel und Mengual ausgewählt und werden nun von den mitwirkenden Tänzer:innen in kleinen Ausschnitten live vorgetanzt. Die Akademikerin erklärt und kommentiert danach das Gesehene. Immer natürlich vor dem Hintergrund ihrer Fragestellung: Mit welchen Mitteln wird die Natur hier dargestellt und noch wichtiger: zu welchem Zweck?
Mal wie in der barocken Choreographie "The entrance of the sun“ als Sonnen-Symbol für die Macht eines Königs, malwie in „Schwanensee“ um die Klischeevorstellung eines Tieres zu zeigen, mal um wie in "The Wave“ den eigenen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, mal um wie in der Arbeit von Loïe Fullerdie Schönheit der Natur zu feiern und mal um wie in Pina Bauschs Arbeit „Nelken Linie“ mit minimalen Handzeichen das Werden und Vergehen durch die Jahreszeiten hindurch zu zeigen.
Mengual macht klar: In all den bisher gezeigten tänzerischen Ausstellungsstücken ging es also stets um den Menschen und nicht um die Naturerscheinung an sich.
Erst in den beiden letzten Beispielen ändere sich laut Mengual diese Haltung: In dem Werk „Extinction room“ von Sergiu Matisspricht ein vom Aussterben bedrohter Schneekranich selbst. Bevor der Tänzer zum Kranich wird, referiert er in einem Monolog über die fast vollständige Ausrottung dieses Vogels. Noch konsequenter wird das Tier in dem Stück von Xavier Le Roy "The lions' vocabulary"in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Hier sind alle Tänzer:innen zu völlig entschleunigten Löw:innen mutiert. Spektakuläres sucht man hier vergebens. Die Löw:innen schreiten über die Bühne,legen sich schlafen, recken sich, manchmal reiben sie sich aneinander, das ist alles. Man sieht die Körper der Menschen, doch sie haben nichts Menschliches mehr an sich. Auch die Wissenschaftlerin hat mittlerweile die Rolle gewechselt: Sie ist eine der Löwinnen, die nackt über die Bühne schreiten.
Zum Schluss ihrer Führung durch die Tanzausstellung wechselt sie (nun wieder in Bluse und Hose) in den Workshop-Modus. Sie landet bei dem Einzelnen, in diesem Fall bei den Zuschauer:innen. Sie fordert sie leicht pädagogisch angehaucht auf, einzelne Hand- und Armbewegungen nachzumachen und dabei über die Bedeutung der einzelnen Körperteile nachzudenken.
Es gibt an diesem Abend im HAU 1 mehr Worte als Tanzbewegungen. In diesem Stück spricht der Tanz nicht für sich alleine, er wird übersetzt, hinterfragt und bewertet. Durch die kritischen Anmerkungen der Wissenschaftlerin zu den Tanzstücken, die zum guten Kanon der Tanzgeschichte gehören, werden die Blickwinkel hinterfragt, ob es nun der dienende, der verklärende oder der rein westliche ist. Das ist natürlich sehr theorielastig. Wo hingegen andere Arbeiten auf diesem Festival ebenfalls mit hohem analytischen Tiefgangsanspruch auftraten, das aber dezent hinter ihrer Show zu verstecken versuchten, so ist Bels und Menguals Umgangmit ihrem Erklärungsimpetus erfrischend ehrlich und offensiv. Der Tanz ist hier erklärtermaßen nur Mittel zum Zweck. Hier steht also weder die Natur noch der Tanz im Fokus des Interesses sondern einzig die intellektuelle Auseinandersetzung ihrer Betrachtenden und Mitwirkenden mit den gesellschaftlichen Entwicklungen. Das ist nur konsequent, wenn gewisse Trends im Contemporary Dance das Nachdenken über das Erleben stellen wollen.
Birgit Schmalmack vom 26.8.24
Abbildung: Non human dances, HAU 1 - Veronique Ellena