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Am Ende versucht Yar einem gefährlich sich neigenden Turm aus aufgestapelten Matratzen standzuhalten. Ein sehr passendes Bild dafür, wie sie versucht mit den verschiedenen Erwartungen an sich selbst und ihrer Umgebung an sie umzugehen. Als Deutsch-Afghanin ist sie ständig damit konfrontiert, die Balance zwischen den verschiedenen Ansprüchen, die an sie gerichtet bzw. auf sie projiziert werden, zu halten. Das fing schon in der Schule an. Da wurde sie nach vorne gerufen, um einerseits Fontane-Gedichte zu rezitieren und andererseits schon als Kind die Fragen der deutschen Gesellschaft zur politischen Situation in Afghanistan zu beantworten. Diese Jonglage zieht sich durch ihr ganzes Leben. Als 9-11 die Türme einstürzen, sitzt ihr Vater wie versteinert vor dem Fernseher, während sie selbst den ganzen Tag nur MTV-Musikvideos schauen möchte. Schuldgefühle machen sich breit. Dabei ist sie zu diesem Zeitpunkt erst acht Jahre alt.
Als 2021 die ausländischen Truppen aus Afghanistan in einer Ad-Hoc-Operation abgezogen werden, findet sie sich allerdings selbst vor dem Laptop wieder und kann ihren Blick nicht von den verstörenden Bildern und Informationen abwenden. Ihre privilegierte Situation im fernen sicheren Deutschland schürt erneut Schuldgefühle, an deren Ursprung sie keinerlei Schuld trägt. So versucht sie wenigstens ein paar afghanische Traditionen hochzuhalten und zu zeigen, dass ihr ehemaliges Heimatland aus mehr als Burka, Taliban und Waffen besteht. Sie lernt das traditionelle Instrument Harmonium und widmet sich dem Gesang afghanischer Lieder.
In einer Soloperformance im Ring-Theater ist Mariann Yar dieser ganz persönliche Balanceakt unter der Regie von Leonard Dick in jeder Hinsicht geglückt. Sie schafft es, die Vielschichtigkeit ihrer doppelten Identität erfahrbar zu machen. Sie hält geschickt das Gleichgewicht zwischen Ernst und Ironie. Ein perfektes Gefühl für das richtige Timing erschuf einen Abend, der Erkenntnisse, Emotionen und Erinnerungen in eine wohl ausbalancierte Collage zusammenfügt. Eine tolle Arbeit, die das Themenspektrum des Berliner Ringtheaters erweiterte und es zu einem Ort mit hohem gesellschaftspolitischen Anspruch macht.
Birgit Schmalmack vom 1.9.23
Abbildung: Landsfrau, Ringtheater - Foto: Cornelius Reitmayr
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