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Elena hat es geschafft: Aus einer Arbeiterfamilie aus Neapel stammend hat sie als erste studiert, hat in eine angesehene Florentiner Familie eingeheiratet, einen lieben zuvorkommenden Mann (Jirka Zett) ergattert, zwei süße Töchter zur Welt gebracht und obendrein noch eine Karriere als erfolgreiche Schriftstellerin geschafft. Sie könnte zufrieden sein. Doch ihr reicht das nicht. Sie bricht aus, trennt sich von ihrem Mann, zieht mit ihren Töchtern nach Neapel und lebt fortan mit ihrer großen Liebe zusammen, mit dem umtriebigen Nino (Sebastian Zimmler). Doch der ist keineswegs so ehrlich und treu, wie es zunächst den Anschein hatte. Ihr Ausbruch scheint sich nicht gelohnt zu haben, denn auch ihr nächster Roman lässt auf sich warten. Sie findet schlicht keine Ruhe mehr, um sich an den Schreibtisch zu setzen. Denn in Neapel ist sie mit genau den Lebensumständen wieder konfrontiert, die sie einst vertrieben hatten. Auch ihre Freundschaft mit Lila (Anna Blomeier), die seit Kindertagen ein festes Bindeglied schuf, bekommt Risse. Als dann auch noch Lilas Kind eines Tages spurlos verschwindet, scheint Elena ganz alleine zurückzubleiben, denn ihre Freundin kann sich von diesem Verlust nie wieder erholen.
Eine satte, pralle Lebensgeschichte einer emanzipierten zupackenden Frau wird hier auf die Bühne des Thalia Theaters gebracht. Nach dem vierten und letzten Teil der Erfolgsromanserie von Elena Ferrante "Meine geniale Freundin". Ungewöhnlicher Stoff für das Staatstheater, der die Frauenquote im Publikum erhöhte. "Ich habe alle Teile gelesen, du auch?", hörte man im Foyer. Regisseurin Ewelina Marciniak bringt ihn in satten Sienna Rot auf die Bühne. Szene für Szene wird die Geschichte der verlorenen Freundschaft erzählt. Im Mittelpunkt steht Elena, die alles riskiert. Rosa Thormeyer zeigt sie als lebensgierige Frau, die einerseits alles zugleich will und dennoch andererseits jede Strategie vermissen lässt. Sie ist die schöne Gespielin und gewandte Intellektuelle zugleich. Sie stürmt auf das Leben zu und passt sich dennoch den Gegebenheiten an. Sie erscheint ausgeliefert und dominant zugleich. So bleibt ihr Charakter nicht zu greifen.
Ebenso verzichtet Marciniak weitgehend auf eine gesellschaftspolitische Einbettung des Romanstoffes. Die Beleuchtung der Klassenunterschiede oder die Veränderungen der Machtverhältnisse innerhalb der und zur Mafia werden von ihr nur am Rande gestreift. So ist der Mafiosi Michele (André Szymanski) eher klischeehaft gezeichnet. Dass Lila ihm Paroli bieten will, muss man in einer Szene mehr erahnen, als dass man es sieht. Marciniak lässt wieder die Körper sprechen. Das ist wie alles höchst ästhetisch, lässt manches ahnen, aber bleibt dennoch an der Oberfläche. So gibt es zwar allerbestes Schauspielertheater, gute Unterhaltung, ein herausragendes Ensemble, eine pralle Story, aber das Verständnis für die Personen auf der Bühne erreicht selten analytischen Tiefgang.
Birgit Schmalmack vom 20.10.23