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Post Daddies, Heimathafen

Flamingos mit einer Plastiktüte auf dem Kopf


Was macht die Silver Foxes so attraktiv? Diese Frage beantworten die Filmeinspielungen auf der Bühnenrückwand gleich selbst: Neben den ergrauten Bart- und Kopfhaaren haben alle diese sich stolz präsentierenden Männer so viel an Muskeln, V-Formen und Sixpacks zu bieten, dass sich selbst die Frage danach erübrigt. Da können die zwei Daddies, die daraufhin um die Ecke blicken, mit ihren riesigen bunten Lockenperücken, die fast ihren ganzen Körper bedecken, nur bedrübbelt wieder von dannen ziehen. Unter ihren gut gerundeten Bäuchen mögen eventuell auch Muskeln verhanden sein, doch sie sind gut versteckt.
So gehen sie erst einmal ein wenig zurück in die Vergangenheit: Der eine etwas weiter als der andere. Überall auf der Welt hatten sie schon Sex, das beweisen sie sich gegenseitig durch ihren Überbietungswettbewerb an Geschichten aus dem Bereich „Fucking-Partners“. Doch jenseits dessen verbindet die Beiden noch mehr: Der jüngere von beiden wird später zugeben: Du bist mein Theater-Vater. Bei ihm ging er einst in Tel Aviv auf die Theaterschule. So lange bis er rausgeworfen wurde. Zu viel Drag-Shows in der Nacht, zu wenig Disziplin und Pünktlichkeit im Unterricht. Gründe dafür findet Ariel einige: Er hätte im Gegensatz zu Noam eben weniger Privilegien mitbekommen. Er blickt ins Publikum: Wer von euch hat eine Eigentumswohnung in einer Metropole? So wie Noam damals schon in Tel Aviv? Die Finger bleiben naturgemäß unten.
Dieses milde herablassende Lächeln über den noch älteren Daddy nutzt Ariel gerne. Als der Theaterlehrer Noam sein Märchen auf Englisch erzählt, übersetzt Ariel es sehr frei auf Deutsch. Aus einem kinderlosen Königspaar, das nach langem Warten und Hoffen endlich Nachwuchs bekommt, aber in Gestalt eines Affen, macht Ariel ein schwules Paar in Schöneberg, dass sich ein Kind von einer Leihmutter aus Georgien holt. Doch Noam lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Er wurde schließlich als Professor nach Deutschland eingeladen, an die berühmte Folkwangschule. Dort war seine Art des Physical Theatres gewünscht.
Also führt er mit dem Publikum gleich ein paar Übungen durch. Den Eiffelturm, eine Hühnersuppe oder eine Giraffe sollen sie spielen. Letzteres zur Einfühlung in afrikanisches Terrain. Da steigt Ariel, der bisher auf den Treppenstufen der Tribüne, wenn auch ein wenig lustlos, mitgemacht hat, aus. Das sei ein rassistisches Narrativ, das ginge heutzutage nicht mehr. Was die Beiden direkt in eine Diskussion über Machtstrukturen im Theaterbetrieb führt. Das könne nicht sein, entgegnete Noam. Schließlich sei er ein Guter, Aktivist und Jude. Mit dieser kurzen Szene bringen die Beiden mal eben die gegenwärtigen Diskurse um Machtmissbrauch alter weißer Männer, Rassismus, Antisemitismus, Western Supremacy und Dekolonalisierung auf den Punkt.
Doch Noam ist mittlerweile Rentner und hat eigene Probleme. Statt in die Gay-Sauna geht es für ihn ins Schlaflabor. Das Alter fordert seinen Tribut. Seine Atmung setzt immer wieder aus und braucht eine Schlafmaske. Für wie lange? fragt er den Arzt. Für immer. Ariel muss auch an die Kabel, aber wegen zu viel Drogengebrauchs. Bei seiner Tour durch die Gay-Bühnen der Stadt brauchte er mehr Aufputschmittel, als ihm gut taten.
So steigen die Beiden versöhnt in ihre gemeinsame Theater-Traumreisen-Übung ein. Ein persönliches Märchen soll es werden. Irgendwann landen sie beide in Afrika und sehen lauter Giraffen (!). Noam bringt eine in Gestalt von Ariel mit nach Berlin und will mit ihr zusammen ins Berghain, was ihm der Türsteher verweigert. In Berlin mischt sich eben alles mit allem, wie Ariel dazu bemerkt. Doch als Noam in seiner Traumreise dann eine Bombe auf das alles werfen will, steigt Ariel aus. Israelis könnten zurzeit keine Bomben werfen. wendet er sich plötzlich ganz ohne ironischen Unterton ans Publikum. Du zerstörst unser Stück, meint Noam dazu. Doch Ariel lässt nicht locker: Er wisse im Moment gar nicht, wer er sei. I am lost, bekennt er. Das Stück sei vor dem 7. Oktober entwickelt worden, und verlässt die Bühne. In den sich anschließenden bunten Videoprojektionen fließt alles ineinander und verändert sich ständig. Alles verschwimmt, die Konturen werden unklar und die Bilder ändern stetig ihren Fokus.
Auch an diesem Abend, den der Regisseur Konstantin Achmed Bürger mit den Performern Ariel Nil Levi und Naomi Meiri und dem Musiker Henri Maximilian Jakobs zusammen entwickelt hat, mischen sich die vielfältigen Perspektiven, Bezüge, Ebenen, Geschichten, Ansichten und Aspekte ständig. Es ist faszinierend den beiden Theaterprofis dabei zuzusehen, wie sie in Sekundenschnelle von einer Haltung zur nächsten, von einer Szene zur nächsten, von einem Spielton in den nächsten springen können. So ist es weit mehr als ein humoristischer Selbsterkundungsabend älterer Queer-Daddies geworden. Hier werden en passant und wie zufällig so viele Themen so differenziert angesprochen, dass am Ende bewiesen sein dürfte, dass sich in diesen „wunderschönen Körpertempeln“, wie der Ankündigungstext sie beschreibt, tatsächlich so viele geistige Muskeln verbergen, dass sie um soviel attraktiver sind als die Six-Packs vom Beginn.
Birgit Schmalmack vom 25.10.24

Abbildung: Post Daddies, Heimathafen - Foto: Verena Eidel

Zur Kritik von

rbb

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