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Integrationskurs für die Deutschen
Die Deutschen brauchen dringend einen Integrationskurs. Das beweist Wittenbrink mit seiner Willkommens-Revue im St. Pauli Theater. Denn nicht die Flüchtlinge (Entschuldigung: Geflüchtete, wie die Studentin immer wieder anmerkt) sitzen im Zuschauerraum sondern das deutsche gutbürgerliche Theaterpublikum. Das eigentlich einen heiter vergnüglichen Musikabend zum Thema Willkommenskultur der Deutschen erwartet hat. Und stattdessen den Spiegel vorgehalten bekommt, der allerlei Unliebsames zeigt.
In die Turnhalle des Ortes wurde geladen. Der letzte Spielstand plus damaliger Uhrzeit steht noch eingefroren an der rückwärtigen Wand. Und das Motto "Willkommen". Mit deutschem Liedgut sollen die Geflüchteten willkommen geheißen und in die deutschen Werte eingeführt werden. So sind gleich zu Beginn die Meistersinger von Wagner zu hören. Passend zum Test "Was deutsch und echt, wüßt keiner mehr,: lebt's nicht in deutscher Meister Ehr" hebt der Chor zum Schluss den rechten Arm. So geht es munter weiter: Die Islamwissenschaftlerin (Anne Weber) erregt sich zum Schluss ihrer Lobeshymne über die früheren Errungenschaften der arabischen Kultur über die heutigen rückschrittlichen Ansichten der muslimischen Männer. Ein Immobilienmakler stellt einen neuen Öko-Container aus abbaubaren Bio-Holz mit selbst erzeugtem Strom und Heizung vor und preist die Renditechancen für deutsche Anleger. Auch aus den Flüchtlingen kann der Wirtschaftsmagnat Deutschland schließlich Kapital schlagen. Heinz singt einen Song über den "Nigger Jim", der so gerne ein Weißer wäre. War Hans Albers etwa ein Rassist?
Die Liebe der Deutschen zum Alkohol führt Frau Möller (Susanne Jansen) im hochgeschnürten Dirndl vor, die sich ihren Abdullah hält, um sich an seinen jungen durchtrainierten Natürlichkeit zu erfreuen. Der Pfarrer (George Meyer-Goll) spricht ein paar Begrüßungsworte. Er freut sich auch über die Ankömmlinge: Endlich wieder viele Menschen, die ihm in ihrer Gottesfürchtigkeit und Ungebildetheit als Gottesmann respektieren.
Die Studentin (Victoria Fleer) kämpft sich mit gutmenschlicher Energie durch die Kleiderspendenberge. Die drei Mädchen von der Al-Nour-Moschee in St. Georg singen mit ihrer Vollverschleierung (Niqab), wie heiß es ihnen unter ihrer Burka sei. Der Fahrlehrer (Stephan Schad) preist die Ordnung der deutschen klar strukturierten Marschmusik gegenüber der orientalischen Musik mit ihren arabesken Schleifen.
Als dann auch noch der Schlepper mit seinem Bodyguard auf der Bühne auftaucht und seelenruhig vor großem Publikum von seinem Menschen verachtenden Geschäft erzählt und zum Schluss die These aufstellt, dass nicht die Behörden sondern er bestimme, wer nach Deutschland komme, ist die Stimmung auf dem Nullpunkt. Wittenbrink tut nichts, um sie bis zum Ende des zweistündigen pausenlosen Abends wieder herumzureißen. Wenn als Zugabe noch "Der Mond ist aufgegangen" gegeben wird, hat jeder verstanden. "Laß uns ruhig schlafen! Und unsern kranken Nachbarn auch!" Unser Kulturgut hat es in sich. Selbst in seinen Zwischentönen.
Wittenbrink bescheinigt den Deutschen eine kulturimmanente Unfähigkeit zur Integration. Willkommen haben sie nur ihren eigenen Stolz über ihre Hilfsbereitschaft und Offenheit geheißen. Doch auch denjenigen, die mit einem "Das wird man doch wohl noch einmal sagen dürfen" werden bedient. Der Abend verschweigt kein einziges Problem und scheint wie ein Versuch, der laut AfD gleichgeschalteten Medienöffentlichkeit ein lautstarkes provokatives Statement entgegen zu setzen.
Dass das Privattheater mitten auf der Reeperbahn diesen Abend zeigt, ist mutig und riskant. Er verspricht keine Unterhaltung sondern konfrontiert mit bitteren Thesen. Wenn Julia mal wieder zur Sektpulle greift, kam man im Publikum hören: Ich brauch auch einen. Beim anschließenden Drink wird sicher noch so manche Diskussion geführt werden. Dazu fordert Wittenbrink den Feierabend-Theatergänger direkt heraus. Zu hoffen bleibt, das hier nicht Stammtischparolen gedroschen werden. Doch auch dazu lädt der Abend ein.
Birgit Schmalmack vom 27.10.16
Abbildung: Willkommen im St. Pauli Theater - Foto: OLiver Fantitsch
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