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A PLACE CALLED HOME, Kampnagel
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Der eigene Tod, DSH
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Wenn wir alle besser werden, können wir die Welt besser machen. Wenn man auf die innere Stimme hört, ist der Erfolg nur noch eine Frage der Zeit. Denn nur wer mit sich selbst in Resonanz tritt, wer sich auf seine eigene Frequenz einschwingt, kann seinen ganz eigenen einzigartigen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Das alles verspricht die Gründerin der Me-School, die an diesem Abend zur AIM-Night ins Lichthof gebeten hat. Ihre Speaker:innen könnten dabei nicht passender ausgesucht sein: Die fünf Mitglieder der LUX:NM-Quintetts, die nach persönlichen Schlüsselerlebnissen ihren Weg der Selbstverwirklichung durch Selbstoptimierung schon erfolgreich beschritten haben, wie sie, eine nach der anderen dem staunenden, klatschenden Publikum berichten können. Lise räumt ihnen dabei gerne einen Platz auf der Bühne frei oder lässt sie in einem der gemütlichen Drehstühlen zu einem Interview Platz nehmen. Lebende Beweise ihrer Methode, die sie in den Kursen ihrer Me-School weiterzugeben sucht.
Das geht so lange, bis sie von dem erhobenen Mittelfinger in Person (ebenfalls Lisa Florentine Schmalz) wütend unterbrochen wird. Alles nur die Konstruktion einer ausbeuterischen kapitalistischen strukturellen Unterdrückungsmaschinerie, die die Gewalt der Märkte auf dem Rücken des Einzelnen austragen wolle, so schreit sie ihren Frust heraus. Das Erfolgsversprechen verlagere die Verantwortung auf das Individuum statt sich der strukturellen Hindernisse bewusst zu werden und an ihnen zu arbeiten. Misserfolg sei so in der Verantwortung der Verlierer und lasse das Gesamtsystem unhinterfragt. Erfolg sei schlicht Gewalt, ruft sie immer wieder. Das Wohlfühlambiente der Erfolgskurse, die auch in der Me-School angeboten werden, sei schlicht ein Marketinggag, der den Konkurrenzdruck der künftigen Wettbewerber auf dem Markt der Selbstdarstellung nur verschleiere. Zahllose Ich-AGs im endlosen Kampf der Selbstausbeutung um die immer schneller zirkulierende Aufmerksamkeit des zahlenden Publikums. Da kann man schon mal als erhobener Mittelfinger richtig wütend werden. Zur Untermauerung ihrer Thesen hat sie allerlei Grafiken mitgebracht: zur Reichttumsverteilung, zum Armutsrisiko, zur Chancengleichheit und zur Besteuerung. Und etliche Getränkekästen. Während einer im Publikum vier aufeinander gestapelte an seinen Platz gestellt bekommt, dürfen sich die hinteren Reihen zwei einzelne Flaschen teilen.
Nach dieser eindrücklichen Intervention hat sich die Stimmung auf der Bühne verändert: Zwar versuchen auch die zwei weiteren Ensemble-Mitglieder noch zaghaft ihre Argumente zur Selbstverwirklichung vorzutragen, doch der Mittelfinger kippt einfach die drei Buchstaben auf der Bühne um, die zuvor das Wort AIM geformt haben. Der Sinn ist dahin. Ob nun Blei- oder Buntstifte, alle seien sie nur Stifte, die sich für die Zwecke der Marktwirtschaft einspannen lassen. So mischen sich auch im Publikum langsam andere Töne in die Reihen: Was wenn du doch kein Buntstift bist? Was wenn du doch nicht einzigartig bist?, flüstern einzelne von ihnen ihren Nachbar:innen ins Ohr. Aus der Selbstoptimierungsshow wird eine Selbsterkenntnis-Kantate mit einem depressiven Chor, der sich langsam auf der Bühne formiert. Hier bekommen alle ein Bleistifthütchen aufgesetzt und stimmen ihren Choral für mehr Grautöne im Leben an. Doch von gedrückter Stimmung ist nichts zu spüren: Luftballons fliegen durch die Gegend, Girlanden werden gespannt und Plakate geschwenkt. Endlich ist wieder Platz für mehr Solidarität und Gemeinschaftssinn.
Das ist die Botschaft dieser spätkapitalistischen Beratungskantate von Felix Stachelhaus und seinem Team, in der sie das selbstgefällige Tun der medialen Erfolgsfanatiker:innen unter die kritische Lupe nehmen. Dass sie dabei keineswegs nur auf ihre Fantasie angewiesen sind, beweisen sie mit ihren klug zusammengeschnittenen Fundstücken aus dem Netz. Hier verbreiten selbsternannte Winner ihre vermeintlichen Erfolgsrezepte unermüdlich und mit großem Erfolg. Was wie Satire klingt, ist leider nur ein Abbild der Realität.
Im Zentrum des Geschehens auf der Bühne steht die Allrounderin Lisa Florentine Schmalz. Die ausgebildete Sängerin überzeugt sowohl als selbstgewisse Erfolgsschulgründerin wie auch als rebellischer Mittelfinger. Doch auch die Musiker:innen von LUX:NM treffen die Töne nicht nur an ihrem Instrument sondern auch bei ihrem jeweiligen Vortrag. Dass Stachelhaus die Rezepte der Erfolgsvermarkter:innen gerade auf dem Gebiet der Kunst untersucht, zeigt den kritischen Blick auf das eigene Metier. Wird doch gerade hier unter dem Motto der Erschaffung von ethisch unbedenklichen, kulturell bedeutenden Werken doch oft die Selbstausbeutung der mitwirkenden Künstler:innenbilligend in Kauf genommen bzw. sogar vorausgesetzt. Das Publikum im Lichthof erlebte einen überaus unterhaltsamen Abend, der im Laufe der fast zwei Stunden immer wieder neue Überraschungen und Erkenntnisse bereit hielt. Und doch die Systemfrage des Erfolges in der Kunst nicht neu zu definieren vermochte.
Birgit Schmalmack vom 13.9.24
Abbildung: Besser werden, Lichthof - Foto: Anja Beutler
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