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Die transparente Trennwand wird zum dritten Mitspieler auf der Bühne. Wenn sie durch die beiden Assistentinnen bewegt wird, erschafft sie für die Tänzerinnen immer neue Räume. Befindet sie sich am hinteren Ende der Bühne, öffnet sie den Raum und bietet eine Fläche für Projektionen, hinter denen die Hände der Tänzerinnen nur allmählich auszumachen sind. Steht sie senkrecht zu den Zuschauerrängen, teilt sie die Sphären der Beiden in zwei Hälften, in denen jede von ihnen ihre Botschaften senden, aber wenig Kommunikation stattfinden kann. Denn sie bedienen sich unterschiedlicher Codes. Wenn Ying-Yun Chen mit ihren Handgesten, die sie mit ihrem Körper verstärkt, akkurate Schriftzeichen in die Luft zeichnet, so verlängert Isabella Boldt die fließenden Bewegungen ihres Körpers mit ihren Händen. Doch sie wollen verstanden werden, deswegen wiederholen sie ihre Gesten immer wieder und immer eindrücklicher. So lange bis sie eine Begegnung in der Mitte wagen, wenn auch vorerst nur durch die transparente Trennlinie hindurch. Manchmal greift nur eine Hand oder ein Arm durch den Vorhang hindurch, manchmal werden die Zeichen mit den Händen sehr eindrücklich direkt vor den Augen der anderen ausgeführt, manchmal wird eine Umarmung zu einer Umklammerung. Doch dann gerät die transparente Wand wieder in Bewegung und scheint über die Beiden hinwegzufegen oder sie im Uhrzeigersinn weiter auf der Zeitachse zu drehen. Als die Wand ganz an die rechte Bühnenseite geschoben wird, ist Platz für eine offene Begegnung geschaffen. Umschlingende Annäherung und Verschmelzung scheint so lange möglich, bis die Enge abschnürend wird und die Befreiung folgen muss.
Für Choreografin Jasmine Fan waren die Spielereien mit ihren Händen seit frühester Jugend ein spannendes und gern verwendetes Ausdrucksmittel, wie sie aus dem Off erzählt. Für ihre Arbeit "Mudra" hat sie sich intensiv mit der Geschichte, der Bedeutung und der Verwendung von Handgesten auseinandergesetzt. So lernte sie auch, dass diese sprachlosen lautlosen Kommunikationsmittel auch bei den Protesten in Hongkong rege Anwendung fanden, um unter dem Radar der Polizei eine Art Geheimsprache benutzen zu können.Während die erste Hälfte der kunstvoll und feinsinnig arrangierten Choreografie eher dem Ausdruck von meditativen Stimmungslagen nachspürte, so steigerte sich in der zweiten Hälfte der Wut- und Angstpegel. Auch hier waren die Rollen zwischen den beiden Tänzerinnen klar verteilt. Während Ying-Yun Chen für das Aufbegehren und die Wut zuständig war, versuchte Isabella Boldt mit ihren Ängsten umzugehen. Wie Fan zusammen mit ihren überaus präsenten und ausdrucksstarken Tänzerinnen diese Brandbreite an Emotionen mit scheinbar minimalen Handgesten, die erst nach und nach von ihrem ganzen Körper Besitz ergreifen, zum Ausdruck bringt, ist beeindruckend. Dass die verschiebbare Wand als dritter Mitspieler dabei sowohl den Blick vernebelte, die Sicht erschwerte wie Durchgriffe erlaubte und doch mit einem Windhauch zu beseitigen war, bereicherte die Bildsprache um eine anspielungsreiche weitere Ebene. Ein Abend, der den Besuch im Lichthof lohnt.
Birgit Schmalmack vom 22.4.22
Abbildung: Mudra - ©Tobias Hoops +Jasmine Fan
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