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Jephta, Kampnagel

Jephta, Kampnagel



Eine Lektion fürs Leben

Diese Lektion werden die Schüler ihr Leben lang nicht vergessen. Mit den altbewährten pädagogischen Idealen von Herz, Hirn und Hand haben sie die Vorlesung ihres Professors durchdacht, durchlebt und durchlitten. „Wer Grausamkeit mit grausamen Mitteln bekämpfen will, macht sich selbst die Hände schmutzig“, lautet am Schluss eine Botschaft für sie.
Zunächst sitzen sie noch fröhlich scherzend an ihrem langen Unterrichtstisch. Allerlei naturkundliche Anschauungsobjekte haben sie mit hereingetragen, die sie eifrig studieren wollen. Doch ihr Professor hat ein ganz anderes Thema parat: Die Ammoniter beherrschen seit Jahren das Volk der Israelis. Ihre barbarischen Bräuche der Menschenopfer sollen auch von ihnen übernommen werden. Es braucht jemanden, der sich dagegen auflehnt und die Israelis wieder auf den wahren Gottesglauben zurückführt. Jephta steht auf und erklärt sich dazu bereit in den Kampf zu gehen. Der Jubel der Schüler ist ihm gewiss.
Jubel wallt auch auf, als er zurückkehrt, denn er hat sein Volk befreit; er hat die Ammoniter besiegt. Auch wenn der Professor die Freuden des Sieges durch ein paar Daten einzuschränken versucht: 20 000 Tote, 65 000 Verletzte, 20 zerstörte Städte ist die Bilanz des erreichten Friedens. Jephta weiß, dass er noch einen weiteren Preis zahlen muss. Für den Sieg ist er einen Deal mit Gott eingegangen; er hat ihm dafür seine Tochter versprochen.
„Es muss so sein, was geschieht, ist rechtens“, wiederholen der Professor und sein Schülerchor immer wieder, als Jephta nach einem Ausweg aus seinem Dilemma sucht. Völlig verzweifelt fügt er sich dem Willen der Masse und bereitet alles für den Opfermord an seiner Tochter vor. Doch zum Glück endet das Gleichnis wie bei Abraham, der seinen Sohn Gott opfern wollte. Ein „entzückender Engel“ wird auf einem Wagen hereingefahren und verkündet die Begnadigung durch den Allerhöchstens.
Die junge Regisseurin Lydia Steier hat an der Potsdamer Winteroper eine moderne Händel-Opern-Interpretation erschaffen, die den überaus pädagogischen, mit viel aufklärerischem Impetus versehenen Stoff nicht nur räumlich sondern auch emotional und inhaltlich mitten in das Publikum hineinbringt. Auf zwei Tribünen sitzen sie rechts und links von der lang gestreckten Stufenbühne. Wie verführbar Massen sind, macht Steier nicht nur anhand des Schülerchores deutlich, dessen Meinungen sich mehrfach im Laufe des Abends wenden. Auch das Publikum wird durch die gefühlvolle Interpretation der bewegenden Händelmusik unter Konrad Junghämel mitgerissen.
Steiers Leistung liegt nicht nur darin, die Oper durch ihre Rahmensetzung mit einem Schauspieler als Professor (Christian Ballhaus) in eine für heutige Zeit spielbare Form gebracht zu haben, sondern auch darin, die Figuren einer intensiven, psychologische Feinanalyse unterzogen zu haben. Jephta wird in all seinem Hin- und Hergerissensein gezeigt. Seine Liebe zu seiner Tochter, die es ihm unmöglich macht sie zu töten, seine Verpflichtung einen Eid umzusetzten, seine Aufopferungsbereitschaft und sein tiefes Ehrgefühl widerstreiten einander beharrlich. Doch nach dem plötzlichen Auftauchen des Wunderengels zeigt Steier, dass ihn nicht etwa wie alle anderen die Erleichterung und die Freude übermannt, sondern dass seine tiefe Verletzung und Verunsicherung in einem Gewaltexzess hervorbricht. Er zürnt dem Gott so sehr, der ihn in diese Gewissensnöte trieb, so dass er abwechselnd seine Tochter, sich selbst oder den Engel umbringen will. Hier hat eine junge Regisseurin sich in aller Konsequenz auf einen antiquiert scheinenden Stoff eingelassen und ihn zu neuem Glanz verholfen.
Birgit Schmalmack vom 13.10.15

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