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Mit Addidas-Turnschuhen, blonden Haaren und einem E-Book an einer Tramhaltestelle in Berlin zu sitzen, kann gefährlich sein. Das erfährt Vernesa Berbo am 30.10.15. Sie wird von einem südländisch aussehenden jungen Mann so stark auf den Rücken geschlagen, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. Ab da hat sie Angst - sogar in dem behandelnden Arzt meint sie den potentiellen Täter zu erkennen.
Doch in den Augen Täters hatte sie die Verlorenheit, die Verletzlichkeit und das Erledigtsein gesehen, die sie noch aus dem Krieg kannte. Auch sie selbst war vor 20 Jahren aus Bosnien als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Sie weiß: Kriegserfahrungen prägen das Denken und Fühlen drastisch. Außerdem hat sie auch am eigenen Leib erfahren, dass Flüchtling zu sein auch heißt unerwünscht zu sein.
Diesen Erzählstrang verfolgt Regisseur Branko Šimić mit Wechseln zwischen Videoaufnahmen und Liveauftritten der attackierten Frau. Abwechselnd erzählt Berbo in Filmsequenzen sichtlich emotional bewegt von dem Erlebnis und versucht dann direkt auf der weißen Bühne das Geschehen zu reflektieren und einzuordnen.
Die Bühne ist wie ein Laufsteg ins Publikum hinein verlängert und teilt die Zuschauer in zwei Hälften: Auf der einen sitzen die Männer und auf der anderen die Frauen. Denn Šimić geht es nicht nur um die Wut von traumatisierten Kriegsflüchtlingen sondern auch um die Strukturen, die einfache Rollenbilder im Kopf unterstützen. Drei Tänzerinnen (Asja Künster, Gifty Lartey und Romy Mittag) flankieren den Laufsteg. Sie sind in rote Gazebahnen eingewickelt, aus denen sie erst sich langsam hinaus winden können.
"Was ist wohl das häufigste Gesundheitsrisiko für eine Frau?", fragt eine der drei Tänzerinnen danach die Zuschauertribünen. "Gewalt!", ist ihre Antwort. Fast kabarettistisch rattert sie in einem Plauderton die Datenlage der Frauen in Deutschland herunter. Besonders die Männerseite des Publikums hat sich immer wieder ihrer direkten Ansprache zu stellen. Auch die beiden anderen Tänzerinnen können davon berichten: Die erzählt von einer nächtlichen Verfolgung durch einen Unbekannten und die anderen von den Schlägen gegen ihre Mutter, die sie mit sechs Jahren mit ansehen musste.
Berbos Fall bettet sich somit für Šimić in die üblichen Gewaltdelikte gegen Frauen ein. Nicht der arabische Mann ist der gefährliche Gewalttäter, vor dem sich die deutschen Frauen zu schützen haben, sondern die Machtstrukturen zwischen den Geschlechtern, die auch in Deutschland beileibe nicht überwunden sind. Doch die verschiedenen Ebenen wollen sich in dem Stück "Portrait Explosiv" nicht recht zu einem Ganzen zu fügen. Šimić benutzt in seinem neuen Stück zwei sehr unterschiedliche Darstellungsformen. Berbo als Profi-Schauspielerin setzt ihre Mittel sehr konzentriert und dezent ein. Die jungen Tänzerinnen zeigen dagegen einfache Tanzbilder, die in Gegensatzpaaren einerseits von eingeschüchterten und andererseits von starken Frauen erzählen. Ihre Geschichten und Erläuterungen bedienen eher das Klischeebehaftete und Bekannte, welches mit Berbos Bericht und Analyse aufgebrochen werden sollte. So beschert Šimićs jüngste Arbeit nicht die Fülle an Anregungen, die man als Zuschauer von seinen früheren gewohnt war.
Birgit Schmalmack vom 24.4.17
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