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Der Fall der Götter

Der Fall der Götter, Schauspielhaus


Netz der Verstrickungen

Die in der Breite und Tiefe verkleinerte Bühne ist bis in den Zuschauerraum verlängert. Gitterroste ragen bis über die ersten Sitzreihen hinein. Rote Theaterstühle sind zu einem Hügel aufgeschüttet oder baumeln von der Decke. Kleine Tischleuchten zieren sowohl die Bühne wie auch den Zuschauerraum. Das legt die Vermutung nahe, dass es um das wohl situierte gebildete Bürgertum geht, das sich wohl an wenigen Orten so homogen versammelt wie in den Staatstheatern Deutschlands. Regisseur Stefan Kimmig nimmt es unter Extrembedingungen in den Blick, und zwar exemplarisch an der Unternehmer-Familie Essenbeck zur Zeit des Nationalsozialismus vom 1933 bis 1953. Das Drehbuch zu Viscontis Film von 1969 lieferte die Textgrundlage.
Die Verwicklungen innerhalb der Familie Essenbeck, in der unschwer die Familie Krupp zu erkennen ist, gleichen einem Drama von Shakespeare. Der Hauptsturmführer von Aschenbach (Lukas Holzhausen) ist der intelligente Strippenzieher aus dem Hintergrund. Er stiftet zuerst den angeheirateten Friedrich Bruckmann (Markus John) zum Mord am Unternehmenspatriarch Joachim an, um ihn dann hochkommen zu lassen. Die Kumpanei mit der machtbesessenen Sophie von Essenbeck(Ute Hannig), der Ehefrau Friedrichs, sichert ihm seinen Einfluss ab. Als ihm die 2. Generation der Söhne und Töchter zu sehr von eigenen Machtinteressen angetrieben erscheint, lässt er sie beseitigen, um eine junge, noch formbare Generation in die Chefsessel zu hieven. Alles im Interesse der Regierung. Denn Hitler braucht Waffen und die lieferte die Stahlfirma Krupp.
Kimmig arbeitet in dieser Inszenierung mit Livemusik (Philipp Haagen, Michael Verhovec) und Bewegungstheater. Das überzeugt nicht immer. Die musikalischen Untermalungen wirken besonders in der Umsetzung durch die Schauspieler eher zufällig und zum Teil dilettantisch. Die Bewegungstheatereinlagen geraten je nach Darsteller und Szene mal stimmig (Lukas Holzhausen als gradliniger Nationalsozialist), unfreiwillig komisch (Sören Wunderlich mit seinem getanzten Napoleon-Gedicht, Markus mit seiner Marlene-Dietrich-Parodie) oder überdreht (Markus John in seiner Doppelrolle als Mörder und Opfer). Zu sehr hat sich Kimmig hier anscheinend von seiner Filmvorlage treiben lassen.
Kimmig nimmt sich wenig Zeit die einzelnen Charaktere zu ergründen sondern hetzt mit schnellen Szenenschnitten durch die übervolle Chronologie der dramatische Familienereignisse. Den Überblick über die überstürzenden Ereignisse zu behalten, fällt nicht leicht, denn alle Darsteller spielen mehrere Rollen. Die Doppelbesetzungen sollen stets die „beiden Seelen in ihrer Brust“ offenbaren.
Dennoch ist der Abend nicht uninteressant. Zeigt er doch, dass es den „Nazi“ nicht gegeben hat. Der tumbe, ständig alkoholisierte SA-Angehörige Konstantin (Samuel Weiss) treiben andere Motive an als den gebildeten Juristen und Hauptsturmführer von Aschenbach. Kritiker wie der Sozialisten-Sohn Herbert (ebenfalls Samuel Weiss) werden ausgeschaltet und abserviert. Unternehmer wie Joachim von Essenbecks meinen, ihre Firma zu retten sei ein Ziel, das über allen anderen zu stehen habe. Selbst moralisch stringente Menschen wie Günther von Essenbeck (Sören Wunderlich) lassen sich schließlich von dem immer enger werdenden Netz der Verstrickungen einbinden, bis kein Entkommen mehr möglich ist.
Birgit Schmalmack vom 26.9.11

Zur Kritik von

dradio
Abendblatt
nachtkritik
Spiegel-online

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