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Prolog Dionysos, Schauspielhaus

Der ausgelieferte Mensch


Es beginnt ganz zart, mit einem einzelnen Mann (Michael Wittenborn ) vor der noch geschlossenen Bühne und Bildern, die nur durch seine Worte im Kopf entstehen. Und es endet mit einer irre gewordenen Frau im blutverschmierten Partykleid, die im Wahn die Leichenteile ihres Sohnes sortiert, den sie selbst in irrer Verblendung ermordet hat. Dazwischen liegen fast drei Stunden pralles Antikentheater. Und das ist nur die erste Folge einer fünfteiligen Theater-Serie, die die Intendantin Karin Beier jetzt am ihrem Haus, dem Schauspielhaus in Hamburg zeigt. Der Auftakt ist also vorgegeben. Das Publikum dürfte im wahrsten Sinne Blut geleckt haben und jetzt gespannt sein auf die nächsten vier Folgen.
In der Bühne von Johannes Schütz wurde an diesem Abend aus nassem Rindenmulch die Stadt Theben gebaut, in der Übertragung von Roland Schimmelpfennig mit ihren Straßen, Kraftwerken und Slums. Erstarkte unter ihrem Herrscher zu passabler Ordnung und großem Wohlstand und wurde dann von einem rachsüchtigen Gott namens Dionysos ((Carlo Ljubek) heimgesucht und in den Abgrund gestützt. Denn die Thebaner hatten ihm keine Ehre erwiesen, Pentheus (Kristof Van Boven) ihn nicht als Gott anerkannt, ihn sogar in Ketten gelegt und versucht zu ermorden. Doch der Gott des Weines, der Feier und des Rausches stürzte die Frauen Thebens nicht nur in einen Alkoholrausch sondern auch in einen Blutrausch. Sie meinten Tiere mit ihren bloßen Händen zu zerreißen, doch in Wahrheit töteten ihren eigenen König. Dionysos sitzt derweil am Rande und beobachtet mit leichtem Grinsen im Gesicht, wie die Frauen sein Werk vollbringen und seine Machtposition stärken.
Karin Beier weiß, wie sie ihr Publikum auch bei diesem schwer verdaulichen Stoff bei Laune hält. Sie bedient dabei keineswegs seine eventuell vorhandene Blutgier. Von den berauschten Taten wird mehr berichtet, als dass sie zu sehen wären. Nein, sie hält ihr Publikum mit einer vor Klamauk strotzenden Weinprobe durch die Vollblutkomikerin Lina Beckmann bei der Stange, lässt die beiden komischen Alten (Micheal Wittenbrink und Ernst Stötzner) kleine Tanzeinlagen mit Efeustab zum Besten geben und falls die Zuschauer:innen dann doch etwas zum Aufwecken brauchen sollten, lässt sie ein zwanzigköpfiges Trommelensemble die Bühne entern und Dionysos Schlacht mit kräftigem Getöse untermalen. Und ein echtes Pferd ist auch dabei, um dem Auftritt des klein gewachsenen Herrschers Pentheus hoch zu Ross etwas mehr an Größe zu verschaffen.
Beier legt hier eine erstaunlich unwoke Inszenierung hin. Sie lässt Männer Männerrollen einnehmen und Frauen Frauenrollen. Sie lässt die Frauen in ihrem Rausch-Empowerment wüten, um letztendlich doch zu zeigen: Sie waren nur die Marionetten eines männlichen Gottes, der in seiner Eitelkeit gekränkt war und sich so seine Macht beweisen wollte. Sie widersteht jeder leicht möglichen Aktualisierung im Hinblick auf heutige Entwicklungen.
Sicher drei Stunden pralles Schauspielertheater, aber einige Fragen bleiben. Beier stellt dem Rausch des Weines und der Macht kein Gegengewicht der Vernunft gegenüber. Der Mensch Pentheus kann dem Gott nichts entgegensetzen. Spielt der Mensch heute Gott, ist er derjenige, der stets nach Macht, Einfluss und Aufmerksamkeit giert? Oder sind Götter auch nur Menschen in anderer Gestalt? Mit nur noch perfideren Techniken der Zerstörung ausgestattet? Bedeutet Stadt tatsächlich Zerstörung, wie es im Text an einer Stelle heißt?
Doch das letzte Bild weiß zu berühren. Als Lina Beckmann in stiller Trauer und verwirrtem Wahn die schwarzen Leicheneimer sortiert, wird an einer Emotionsschicht gerührt, die tiefer geht als die reine bildgewaltige Handlungsebene.
Birgit Schmalmack vom 18.10.23

Abbildung: Prolog/Dionysos, DSH - © Monika Rittershaus, 2023

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