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Häuptling Abendwind

Häuptling Abendwind, Malersaal

Häuptling Abendwind, Malersaal
Schwer verdauliche Groteske

Beim gemeinsamen Essen lässt sich hervorragend Politik machen. Das gilt nicht nur bei Merkel und Co sondern auch bei den beiden Südseehäuptlingen (Samuel Weiss, Josef Ostendorf). Hier ist die Speisenfolge, die aufgefahren wird, allerdings sehr besonders: "Gauländer Pilzragout auf einem Schaum tausendjährigem Vogelschiss" oder "Sülze vom Söderhofer Landschwein" und ähnliche Delikatessen. Die Schüssel, die dem Gast vorgesetzt wird, enthält eine besondere Wurstspezialität mit Einlage. Dumm nur, dass sich später herausstellt, das der Häuptling gerade seinen einst verloren gegangenen Sohn (Ueli Jäggi) verspeist hat. Da der gastgebende Häuptling Abendwind gerade keinen Gefangenen parat hatte, um das Festmahl angemessen auszustatten, ließ er kurzerhand den angespülten Fremden schlachten und in die Wurstpelle drücken. Der Pelleninhalt scheint dem Gast zu schmecken, nur die Spieluhr mit der Nationalhymne seines Reiches macht ihm hörbar Bauchschmerzen.
Johann Nepomuk Nestroy hat einen Posse geschrieben, die sich Marthaler jetzt wieder vorknöpft. Nestroy richtete eine Gemengelage aus Nationalismus, Rassismus und Südseeklischees an. Seine Groteske war für seine Zeit schon fortschrittlich, für die Gegenwart immer noch sehr schwer verdaulich. Marthaler lässt die vermeintlich Wilden als Zivilisierte im Marmorsaal und in Maßanzügen auftreten. Sie spotten über die vermeintlich kultivierten Europäer und ahmen ihre Verhaltensweisen perfekt nach. Marthaler versucht eine Parodie auf heutigen Rassismus. "National ist etwas, wenn kein anderer einen mehr versteht", wird zum Motto seiner Kolportage.
Doch will der Schwebezustand zwischen tiefgründelnder Kritik und melancholischem Witz, den Marthaler sonst so grandios beherrscht, sich hier nicht ganz herstellen. Zu grotesk, zu lächerlich und albern sind die Figuren mit ihrem Überbissattrappen angelegt. Hier wäre weniger Überzeichnungen mehr gewesen.
Doch immer, wenn Josefine Israel als "Mikrophonistin" mit ihrem Stehpult Einzug hält, wird es richtig interessant. Dann zieht Marthaler die Ebene ein, die dem Ganzen Zusammenhalt gibt. Dann ordnet sie in nüchternen Pressesprecherin-Ton die Hintergründe ein. Zu Höchstform läuft der Abend auf, wenn die Runde mit ihr als Moderatorin eine gepflegte Talkshow nachahmt. Und zwar anlässlich einer Rede eines Anhänger des "Renaissance-Humanismus" im "Altsprachler-Kindergarten". Dann entspinnt sich eine Laberrunde im besten Politikersprech, die mit allseits bekannten Worthülsen von "Miteinander Reden auf Augenhöhe" vom "erforderlichen Respekt und Verständnis" tönt.
Mehr von Szenen dieser absurden Qualität hätten diesem Abend noch vergnüglicher und spannender gemacht.
Birgit Schmalmack vom 14.10.19

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