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Ich kann nicht mehr, DSH

Ich kann nicht mehr

Verwehrter Rückzug ins Private

Ein Chor aus weiblichen Soldatinnen stürmt zu Beginn die Bühne: "Ich bin der Mann. Ich bin der Mann!" postulieren sie die neue Wirklichkeit. Zur Not mit Maschinengewehren im Anschlag. Bühnen hohe Küken in orange und grün (Bühne: Wilfried Minks) sehen zwar ebenso so hübsch aus wie die weiblichen Companeros, können aber ebenso so wie sie ein Maschinengewehr unter ihren Flügeln hervorholen.
Das Leben ist eben ein riesengroßes Missverständnis. Nichts ist wie es scheint, das versucht René Pollesch an diesem Abend in 80 Minuten seinen Zuschauern und Zuhörern beizubringen. Liebe ist in Wirklichkeit Hass. Abneigung in Wirklichkeit übersteigende Zuneigung. kurzfristiges Glück nur der Verlust von Drama, unter dem man leidet, wenn es fehlt. Verstehen des Anderen völlig unmöglich. Politisches Theater aus der Mode geraten. Selbst der Chor als Theatermittel mittlerweile untauglich als Gedankenübermittler.
Doch das hat eine tiefere Ursache: Die Kommunikation hat ebenfalls ihre Funktion verloren. Jeder kann eben am besten reden, wenn ihm keiner zuhört. Das Verstehen wird eh überschätzt. Selbst in Liebesbeziehung ist das Gerede vom Verstehen nur Vorgaukeln falscher Tatsachen. Nie wird jemand die Beweggründe des anderen wirklich verstehen können. So ist es besser, wenn der Chor gleichzeitig mit dem Protagonisten des Abends redet, denn dann sei keiner zu einem Verstehen und zu einem Gespräch verpflichtet. So kann das Wohlfühlen beginnen. Vorausgesetzt natürlich, man wisse dass auch dieser Theaterabend ebenso wie das Leben endet.
Die vier Schauspieler sind alle eine Schau. Erst durch sie bekommt der Theaterabend Gestalt. Kathrin Angerer mit ihrer lasziven nöligen Stimme spielt die schöne ironische Diva, Daniel Zillmann mit seiner körperlichen Wuchtigkeit den schwulen Diktatorverschnitt, Bettina Stucky mit ihrer liebevollen Überdrehtheit die kämpferische Engagierte und Sachiko Hara mit ihrer japanisch angehauchten Mädchenhaftigkeit den verspielten Außenblick.
Dennoch: Ahnte man bei früheren Arbeiten von Pollesch noch den intellektuellen, inhaltlichen, politischen Überbau, so gerät er dieses Mal in seinen mäandernden Satzspiralen weit in den begreifbaren Hintergrund. Pollesch glaubt nicht mehr an das politische Theater, das ist spätestens mit dieser Arbeit klar geworden. Doch auch der Rückzug ins Private bietet keinen Rückhalt mehr. Wenn sich selbst Küken bewaffnen, ist kein Nest mehr in Sicht.
Birgit Schmalmack vom 1.4.17

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