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Warten auf die Barbaren, DSH

Zur Kritik von

Abendblatt
Nachtkritik

Warten auf die Barbaren, Schauspielhaus


Geschmackloses Theater?

"Das Verbrechen, das wir in uns tragen, muss sich gegen uns selber richten", sagt der Schauspieler Markus John. Diese Behauptung hört man noch aus dem Off. Erst langsam wird der Sprecher mit einem Spot sichtbar. Der Magistrat einer Grenzstadt sitzt in einem Sessel und macht sich Gedanken um die Umstände in seiner Stadt. Ein Oberst Joll (Christoph Luser) hat sich einquartiert und einen Feldzug gegen die zu erwartenden Barbaren hinter der Grenze gestartet. Der Magistrat weiß, dass Joll sich mit seinen Gehilfen massiver Foltermethoden bedient. Dieser gibt es auch unumwunden zu. Die Wahrheit bedeute immer Schmerzen. Auf die Frage Johns, woran er denn die Wahrheit erkennen würde, verweist Joll auf den Ton der Wahrheit, den er als Profi sofort erkennen würde. Durch den Salon hüpft und trällert sich derweil die Ehefrau des Stadtverwalters (Anja Laïs). Gepflegt plaudert man über die verschiedenen Formen der Folter im schicken Abendanzug und glitzernden Umhang.
Doch der Magistrat will dieses neu installierte System nicht unterstützen. Er erbarmt sich eines gefolterten Barbarenmädchens (Sachiko Hara), nimmt es zunächst in seine häuslichen Dienste und bringt es schließlich zu ihren Leuten zurück. Als er zurückkehrt, wird des Landesverrates angeklagt und gerät nun seinerseits in die Fänge des Oberst. Jetzt lernt er die Folter nicht als Beobachter sondern als Opfer kennen.
J. M. Coetzee hatte seinen Roman noch als klar erkennbare Analogie auf die Zustände in Südafrika geschrieben. Heute kann man ihn als aktuelle Beschreibung der Paranoia nach 9/11 lesen. Die Regisseurin Maja Kleczewska lässt nicht nur von den Folterungen berichten, sie zeigt sie auch. Sie lässt den Magistrat unter schwarzer Erde auf der Bühne begraben. Sie steckt ihn nackt in ein Frauennachthemd und lässt ihn kopfüber von der Decke hängen. Bis hierhin ist ihr Ansatz, wenn auch schwer erträglich, aber doch schlüssig: Der Widerständler weiß nun, dass auch in ihm Regionen vorhanden sind, die seine Überzeugungsstärke in Frage stellen können.
Doch Kleczewska belässt es leider nicht dabei. Der Folterknecht Michael Weber muss im Glitzeranzug auftreten und eine Foltercomedy, bei der niemand lacht, vom Stapel ziehen. Er versucht Folterwitze zu erzählen. Er demonstriert an seiner malträtierten Assistentin Barbara (Achtung Wortspiel zu Barbaren!), an deren Bikini-Körper die Folterspuren gut zu sehen sind, die Entspannungsübungen "Abu-Graid" und "Guantanamo". Und er benutzt sie sogar live für ein Waterboarding-Experiment, um sein Billig-Folter-Angebot vorzuführen. Klar, gibt er zu, das sei alles geschmacklos und furchtbares Theater, aber nicht einmal darüber kann jemand lachen.
Beeindruckend sind Markus John und Sachiko Hara in ihren Rollen. John nimmt man den fragenden, zweifelnden, ehrlichen Verständnissucher in jeder Sekunde ab. Hara spielt das gemarterte, gedemütigte Mädchen mit einer Intensität, das man ihre Schmerzen spüren kann. Doch Kleczewska mag der Geschichte um den Moralisten nicht vertrauten. Um den Stoff interessanter zu machen, setzt sie auf Showeinlagen und Effekthascherei. Darunter gehen die spannendsten Gedankenansätze fast verloren.
Birgit Schmalmack vom 6.1.17

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