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Schande, Thalia

Wegbrechen der Hygge-Firnis



Hyggelig haben die Beiden (Jirka Zett, Maja Schöne) es hier in ihrem einsamen Landhaus. Zumindest scheint es so. Doch zwischen den Beiden dieses Möchtegernkünstlerpärchens brodelt es. Hier ihrer trauten Zweisamkeit verbergen sich viele unerfüllte Sehnsüchte, die schon mal bei einem Spinat-Brokkoli-Smoothie am morgendlichen Frühstückstisch aufbrechen können, wenn herauskommt, dass Jan wieder vergessen hat die Rechnung an den Telefonbetreiber zu überweisen. Denn die Rollen sind hier draußen klar verteilt: Eva ist die Zupackende, Pragmatische, Jan der Zauderer, der Versponnene, der immer noch seiner Musikerkarriere hinterher träumt und seine Magisterarbeit auch mit Mitte dreißig noch nicht abgeschlossen hat. Eva verdient derweil als Architektin im Homeoffice das Geld, das eigentlich stets zu wenig ist. Ihr Wunsch, ein Kind zu bekommen, prallt auf seinen Hang zur Nichtfestlegung. So gehen sie sich auf die Nerven und springen kurz darauf zur Versöhnung ins Bett.
Ihr Haus mit der offenen Küche hat keine Wände. Die vermeintliche Heimeligkeit bietet also wenig Rückzugsmöglichkeit. Weder voreinander noch vor der Welt da draußen. Beschäftigen die Beiden sich zu Beginn noch mit ihren selbstgemachten Luxuspaarproblemen, so bricht bald darauf die harte Wirklichkeit des Draußen in ihre Hyggeligkeit. Ein Nachbar (Bernd Grawert) kommt vorbei, in Militärstiefeln und schwarzer Uniformjacke und verkündet schlechte Nachrichten. Es drohen Gefechte, er organisiere die Gegenwehr. Er rät zur Flucht. Doch kaum haben die Beiden hastig ein paar Sachen gepackt, da haben sich die Fronten schon gewechselt und Jan und Eva befinden sich mitten dazwischen. Die Gegenseite gibt Anweisungen aus dem Off. Später werden sie der Kollaboration verdächtigt. Die Beiden haben innerhalb kürzester Zeit ihr kleines zerbrechliches Normaloleben verloren und unter der Firnis der Gutbürgerlichkeit brechen nie geahnte Abgründe des menschlichen Verhaltens auf. Eva wirft Jan Tatenlosigkeit und Feigheit vor. Um ihre Haut zu retten, lässt sie sich mit dem Nachbarn ein, der ihnen Beistand geben könnte. Das wiederum veranlasst Jan, ihn an die Gegenseite zu verraten, obwohl er ihn retten könnte, und schließlich sogar einen Deserteur zu beseitigen, um an dessen Fluchtticket zu kommen. Ist das der Jan, den Eva immer wollte? Wer sind die Menschen, die hier alles tun, nur um sich selbst zu retten? Doch gerade als sie wieder alles zusammenraffen, geht das Saallicht an, während hinten an der Bühnenrückwand das Wort "Schande" erscheint. War das alles nur ein Traum und wer werde dann hinterher darüber Scham empfinden?
Die Thalia-Schauspieler:innen geben ihren Charakteren Tiefgang, der zwischen Gutbürgerlichkeit, Ahnungslosigkeit, Naivität, Panik, Egoismus und Abgrund changiert. Sie offenbaren ihre Bodenlosigkeit. Sobald die äußere Beschaulichkeit weg bricht, zeigen sie, dass vermeintliche Werte nur so lange existieren, bis die Fassade bröckelt. Schade dass Regisseur Mattias Andersson nicht konsequent alle Bedrohung von außen im Nicht-Sichtbaren wie bei der Stimme aus dem Off belässt. Die Ebene der hereinbrechenden Jugendgang, die zunächst an den Rändern Baseball trainiert und dann zu einer verwüstenden Soldatengruppe wird, zieht das wohl ausbalancierte Spiel der Drei auf dem Podest auf eine Ebene der klischierten Banalität herunter, die der Abend nicht gebraucht hätte. Doch abgesehen davon: ein sehenswertes, erhellendes Kammerspiel über die dunklen Flecken unter unserer westlichen IKEA-Gemütlichkeit.
Birgit Schmalmack vom 17.2.24

Abbildung: Schande, Thalia - Foto: Armin Smailovic

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