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Grm Brainfuck, Thalia

The future is now


Die riesige Leinwand erleuchtet in gestochen scharfen Farben das Dunkel der ansonsten leeren Bühne. Kirschblüten vor blauem Himmel überstrahlen alles. Sie künden von einer besseren schöneren Welt. Wozu braucht es noch die Verbesserung der realen Bedingungen, wenn man ihr jederzeit in die virtuelle Welt entfliehen kann? Ob die beiden Figuren, die die Werbeslogans zu dieser schönen neuen Welt auf dem Billbord verkünden, noch auf Gleichförmigkeit getrimmte Menschen, Klone, Kis oder schon Avatare sind, ist eigentlich nicht mehr von Bedeutung. Wer macht denn heutzutage noch einen Unterschied zwischen real und virtuell? Wenn das Leben sowieso von den digitalen Anwendungen so bestimmt wird, dass man ihm nicht mehr entkommen kann? Und auch gar nicht mehr will. Denn wer seine Daten jeder App schenkt, auch wenn ihre Serviceleistung sehr überschaubar ist, der wird sich gerne nach der Einführung des Grundeinkommens zu vollkommen Stillhalten überreden lassen. Auch wenn es keineswegs ganz bedingungslos ist, sondern nur ausgezahlt wird, wenn die Bürger:innen ihrem treu sorgenden Staat den Zugriff auf alle ihre Daten erlauben. Die gekauften, gläsernen Bürger:innen haben sich ihre Privatsphäre abkaufen lassen und genießen nun ihre komfortable Ruhe der Unmündigkeit.
Doch ein paar Widerständige gibt es noch. Sechs Jugendliche haben sich aufs Land zurückgezogen, hausen zwischen Sperrmüllsofas in einem verlassenen Haus und versuchen sich in einer Mikro-Revolution. In einer konzertierten Aktion wollen sie sich in das Staatssystem einhacken und den Menschen offen legen, was der Staat alles von ihnen weiß. Doch als sie dafür den letzten Klick tätigen und die Komplettüberwachung online stellen, interessiert das keinen aus dem sedierten Volk. Der Aufschrei bleibt aus.
Sybille Berg hat in ihrem Roman "Grme Brainfuck" auf über 600 Seiten die Geschichten dieser Jugendlichen in einem England der ständigen Kontrolle erzählt. Für die Theaterfassung, die Regisseur Sebastian Nübling auf die Bühne gebracht hat, hat sie das alles auf 60 Seiten verkürzt. Sie nennt es ein "Sogeanntes Musical", denn eigentlich spielt in ihm, wie in jeder respektablen Jugendbewegung, die Musik eine wesentliche Rolle. Hier in diesem Fall die des "Grime". Diese schmutzige dreckige Punkrichtung aus dem Suburbs GBs gibt den Drive vor. Eigentlich sollten auf der Bühne dafür die Originalmusiker:innen von "Ruff Sqwad Arts Foundation" stehen, doch Corona machte dies unmöglich. So wurde eine Team aus Hamburger Tänzer:innen gecastet, die zu deren Soundtrack tanzen und spielen. Allesamt sind tolle Talente, ohne Zweifel, doch sie haben Mühe auf der großen schwarzen dunklen Bühne gegen die Übermacht der Billbordbilder zur Geltung zu kommen. Dabei wäre gerade dies nötig gewesen, um die spannenden, gesellschaftspolitischen Thesen auch mit einer Gefühlsebene zu unterlegen. So versteht man als Zuschauer:in zwar sehr gut, was dieser Abend aussagen will, hat aber kaum Chance sich in diese Erlebniswelt einzufühlen. Und genau das hätte diese Arbeit erst zu der Eindrücklichkeit verholfen, die sein Themenspektrum verdient hätte.
Birgit Schmalmack vom 4.10.21

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