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Vor dem Fest, Thalia

Zur Kritik von

Die Zeit
Abendblatt

Vor dem Fest

Jedes Dorf ist individuell

Ein weiterer Abgesang auf das Dorf? Speziell wenn es in der ehemaligen DDR, in der Uckermark liegt? Die erste Szene scheint das nahe zu legen. Alle hängen traurig in dem kleinen Boot auf dem leeren hellblauen Teppichbodensee unter dem weiten weißen Bühnen-Tücher-Himmel herum und machen ein trauriges Gesicht. Ausgerechnet der stumme Suse (Oda Thormeyer) singt ein lautloses Lied am Mikro dazu. Denn der Fährmann ist tot, ertrunken auf seinem Arbeitsplatz und kein Nachwuchs in Sicht. Doch zu Glück gibt es Johan (Merlin Sandmeyer), der ist unbezahlter Lehrling beim alten Glöckner und versteht dessen Handwerk, auch wenn ihm das kaum jemand zutraut. Das wird er am Schluss beweisen. Mit nur drei Glocken versteht er zu spielen: die hohe Kunst des Glockenspiels.
Autor Saša Stanišić betonte beim anschließenden Publikumsgespräch, dass in einem Dorf auf die Talente jedes einzelnen geschaut werde, mögen sie auch noch so verborgen sein. Nicht wie in der Stadt, wo nicht der Mangel sondern das Überangebot für eine schnelle Aussortierung sorgen würde.
So geht es in seinem Roman "Vor dem Fest" ebenso wenig wie in der Inszenierung von Charlotte Sprenger nicht vorrangig um ein Lamento auf das Aussterben des Dorfes sondern um die Würdigung der Individualität jedes einzelnen Dorfbewohners mit seinen eigenen besonderen Geschichten. Die breiten sich mit Hilfe der fünf wunderbar wandlungsfähigen Schauspieler unter dem Bühnenhimmel aus. Die junge Regisseurin hat mit ihrem Ensemble offensichtlich Spaß an dieser überbordenden Vielfalt der Einfälle und spiegelt diese auch durch die Kostüme wieder, die auf jedem Lilabe-Karneval-Fest für Aufsehen sorgen würden. So pendelt sie geschickt zwischen lustigem Klamauk, gekonntem Witz und melancholischer Hintergründigkeit hin und her.
Die Auswahl von Sprenger erweist sich als geschickter Schachzug des Thalia-Theaters, um diese Inszenierung zu einem beliebten Programmpunkt für Deutschlehrer dieser Stadt werden zu lassen; schließlich ist "Vor dem Fest" zum Abiturstoff erklärt worden.
Birgit Schmalmack vom 23.1.19



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