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Ode, DT

Soziale Plastik aus Nichts

Wie gegen Gummizellenwände prallen sie ab und schnellen zurück. Das weiße Halbrund auf der Bühne der Kammerspiele ist mit flexiblem Kunststoff bespannt und lässt die Spieler*innen zurückfedern, wenn sie sich in ihm bewegen. Die "soziale Plastik", die die Kunstakademieleiterin Fratzer geschaffen hat, erweist sich als ein Raum, der alles anzieht und an dem alles abprallt. Nichts Eindeutiges scheint sich hier zu verfangen, deshalb provoziert es alle. Das war von Fratzer auch so geplant. Ihre Provokation sollte einen Raum fürs Diskursive eröffnen. Denn ihr Raum, der an diesem Abend in der Kunstakademie enthüllt werden soll, ist weiß und leer. Der Titel allerdings hat es in sich: „Ode an die alten Täter“. Viel Platz für Gerüchte. So taucht der Name „Ode an das KZ“ auf und schon läuft Fratzers Provokation aus dem Ruder. Sie wird abgesetzt und begeht daraufhin Suizid.

Jahre danach will Orlando (Manuel Harder) die Geschichte aufarbeiten. Die Vergewaltigungserfahrung Fratzers will er nachspielen. Doch wer darf hier wen spielen? Ist es nicht eine Anmaßung, dass die Schauspielerin sich in Fratzer (beide Katrin Wichmann) hineinversetzen soll und damit deren Erfahrung definieren wird? Als Orlando seiner Kollegin den Rollentausch anbietet, sind sie mitten in der Diskussion der Identitätspolitik gelandet. Kann ein Mann diese Frauenrolle übernehmen? Oder darf er sogar, wie in einer anschließenden Szene, die Rolle einer migrantischen Putzkraft mit Kopftuch spielen? „Ab jetzt darfst du nur noch über dich selbst erzählen, jedenfalls nie von anderen unter dir“, wird ihn da signalisiert. Ein Problem wird sichtbar: Dieses Ringen um die Aneignung von Identitäten spaltet die Kunstszene, führt in der Konsequenz aber zu einer Hinterfragung jedes Theaterspiels.

Thomas Melle hat ein Auftragswerk für das Deutsche Theater geschrieben. In ihm verhandelt er viele spannende Fragen, die genau den Nerv der Zeit treffen. Was darf die Kunst? Wen repräsentiert sie? Was sind die Tabus, die auch die Kunst nicht anfassen darf? Wer darf Kunst machen? Wer die Regeln und Themen bestimmen? Wie werden Identitäten konstruiert? Dürfen erst, wenn alle mitmachen dürfen, auch alle Themen verhandelt werden? Wie können Machtstrukturen angemessen thematisiert werden, ohne sie zu verfestigen?

Doch nimmt Melle auch noch eine weitere Gefahr mit in den Blick. Wenn die Kunst selbst alle diese selbstkritischen Fragen aufwirft, macht sie es dann nicht denen, die die Freiheit der Kunst in Frage stellen, zu leicht? So treten in diesem Stück nicht nur die um sich selbst kreisenden Künstler auf sondern auch eine "Wehr" aus Identitären, die mit der Deutschlandflagge für die deutschnationale Kunst der "Originalkostüme" eintreten. Statt Verunsicherung erwarten sie von der Kunst eine Verfestigung der eigenen kulturellen Basis. Doch eigentlich braucht die „Wehr“ nur abzuwarten, bis die Künstler sich gegenseitig zerfleischt haben. Derweil hat sich das weiße Halbrund mit Bildern, Strichmännchen und bunten Flächen gefüllt. Ist das nun "Bad Painting" oder ist der weiße Raum von der Öffentlichkeit mit ihren Botschaften versehen worden?

Regisseurin Lilja Rupprecht hat aus dem vielschichtigen Lehrstück Melles ein sprühendes Stück gemacht. Vier Schauspieler*innnen (Wichmann, Harder, Alexander Khuon, Natali Seelig) aus dem Ensemble des Deutschen Theaters und Juliana Götze und Jonas Sippel vom Berliner Rambazamba-Theater erzeugen auf der zuerst noch weißen Bühne ein Feuerwerk an Spielideen. Gerade die zwei Rambazamba- Schauspieler*innen schaffen es, hier die Frage von Repräsentanz sehr geschickt zu stellen. Erst wenn auch sie mitspielen dürfen, kann schließlich die Freiheitsfrage neu gestellt werden. Gleichzeitig stellen sie mit ihren unaffektierten Wortbeiträgen ein hervorragendes Korrektiv zu dem Thesengeschwafel der Künstler*innen entgegen und vertreten so das "gesunde deutsche Volksempfinden".

Unter der klugen Regie Rupprechts gelingt es dem hervorragend interagieren Ensemble die richtigen Fragen zu stellen und sie gleichzeitig so zu geschickt ironisieren, dass ihre ernsten Ansatz dennoch nicht verwässert werden, aber sie in ihrer theorielastigen Widersprüchlichkeit erträglich werden. Nur im letzten Teil, in dem den Künstler*innen in all ihrer Exaltiertheit und Weitschweifigkeit der Bühnenraum überlassen wird und die schwarz-rot-goldenen Bürger ganz in den Hintergrund gedrängt werden, wird das Stück ziemlich ermüdend. Denn auch das muss Kunst schließlich sein: anstrengend. Doch gerade hier könnte die Rufe der "Wehr" aus dem Herzen sprechen: "Aufhören, Brechen wir es ab!" Dennoch hat der Künstler das Schlusswort: "Es lebe die freie Kunst!"

Melle zeigt, wie die Kunst von links und von rechts angegriffen wird. Die Diskurse um ihre Freiheit bleiben eine immer neue Herausforderung. Die Fragen sind auch nach diesem Stück nicht beantwortet. Aber klar umrissen. Der weiße Raum des Stückes wird mit den anschließenden Diskussionen gefüllt werden müssen.

Birgit Schmalmack vom 27.10.20



Abbildung: Ode im Deutschen Theater - Foto by Arno Declair

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