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Viel wird aufgefahren an diesem Abend in der Volksbühne. Dramatische Musik, groß angelegtes Bewegungstheater, viele Requisiten, viele namhafte Mitwirkende (darunter Sólveig Arnarsdóttir, Sarah Franke, Jella Haase, Robert Kuchenbuch), detailreiche Kostüme und ein aufwändiges Bühnenbild. Eine gewaltige Komposition aus Spiel, Musik und Film und Thesen.
In der Mitte der Bühne steht ein großes hölzernes Mühlrad. Vier Gerüsttürme umgeben es, mit Vorhängen bespannt dienen sie der ständigen Filmprojektionen. So überlagern sich die Bilder fortwährend.
Weiß gewandete Cowboys und Cowgirls haben sich aufgemacht in den Wilden Westen. Wie eine verschreckte Gruppe werden sie vom Kameramann gejagt, um die Bilder zu produzieren, die auf den Leinwänden zu sehen sind. Halstücher haben sie als Maskenersatz über Mund und Nase gezogen. Der Schweizer Suter (Johanna Bantzer) ist einer von ihnen. Er hat Großes vor. Eine kleine Weinpflanze soll der Grundstock sein für seine Zukunft, von der er hier träumt. Ein "New Helvetia" hat er geplant. Nur eine Szene später, nachdem Filmsequenzen der Feld- und Erntearbeiten zu sehen waren, ist der Erfolg schon da: Eine reiche Tafel mit allen Genusszutaten wird aufgetischt.
Doch kaum sind die Speisen angepriesen, ist schon wieder alles gefährdet. Denn es wurde auf dem Gelände, das Suter sich gegriffen hat, Gold gefunden. So schallt der Ruf „Go West“ bis in den letzten Winkel der Welt und die Menschen strömen heran.
Da haben auch die Kopfgeldjäger umzulernen. Doch sie wissen schnell, wo jetzt das Geld zu holen ist: im Finanzgeschäft. Wer Gold findet, braucht eine Bank, doch nicht eine gewöhnliche sondern eine Investitionsbank. Die Kleinganoven versprechen Rendite, obwohl sie gerade erst die Begriffe dafür gelernt haben. Natürlich brechen auch diese Versprechen so schnell in sich zusammen, wie sie ausgesprochen wurden. Die Goldgräber sind ebenso desillusioniert wie die Pioniere der Land- und Finanzausbeutung. Zum Schluss stehen sich alle mit Waffen in beiden Händen gegenüber. Doch wer ist der Feind? Wer ist das Opfer?
Alexander Eisenach zeichnet in seinem Stück „Der Kaiser von Kalifornien“, für das er Autor und Regisseur in Personalunion ist, seinen Kurzdurchlauf durch die Geschichte der fortschreitenden Verwerfungen des Kapitalismus nach. Sie beginnen mit der Kolonialisierung und der Naturausbeutung, nehmen mit der Erfindung des Kapitalmarktes an Fahrt auf und landen beim neoliberalen Kapitalismus. Das Problem dieser Inszenierung ist ihre Schlaglichtartigkeit und damit ihr Hang zur Vereinfachung und Verkürzung. Die Schauspieler*innen werden zu einer Art lebendigem Thesenpapier. Kaum hat man eine neue Person auf der Bühne kennen gelernt, ist sie schon wieder abgelöst. Jeder Charakter wird nur angerissen, denn er ist nur ein Beispiel in der Erzählung. Doch die herausragend guten Schauspieler*innen machen jeden dieser Abschiede schwer. Dabei hätten ihre Geschichten mehr als genug erzählt. Eisenach ist dieses Manko wohl bewusst, denn er versucht es mit seiner großartigen Bildershow aufzufüllen. Doch trotz der eigentlich emotional mitreißenden Effekte stellt sich nach den zahlreichen Wendungen eine merkwürdige Ermüdung ein. Eisenach hätte seinen Zuschauer*innen mehr zutrauen sollen. Weniger Theaterdonner und mehr Theatererzählung, weniger Theorie und mehr Geschichten hätten den Abend und seine Fragestellungen noch interessanter und gewinnbringender gemacht.
Birgit Schmalmack vom 26.10.20
Abbildung: Kaiser von Kalifornien - Volksbühne