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Wie geht es den Theaterschaffenden in Berlin?
Wie geht es dem monsun.theater?
Auf ihrem schmalen Körper sitzt ein riesiger Ballon aus Haaren. Komplett unsichtbar wird das Gesicht der zarten Frau unter der schwarzen Haarkugel. Eigentlich scheint ihre ganze Erscheinung von diesen Haaren dominiert. Ein schwarzer Lockenball zieht alle Aufmerksamkeit an sich. Schiebt sie sich zunächst noch wie eine Schlange auf dem Boden vorwärts, so bewegt sie sich später zwar vorsichtig suchend aber aufrecht, obwohl weiterhin ihr komplettes Gesicht von der Lockenmähne verdeckt ist. Trotz der Fixierung auf die Lockenpracht versucht sie Freiräume zu erkunden.
Als sie sich endlich die dicke Mähne vom Kopf zieht und zum ersten ein Blickkontakt möglich wird, erscheint eine verschmitzt lächelnde Frau, die ihre Haare zu eng anliegenden kleinen Zöpfen frisiert hat. Doch die Bilder, die derweil über die Seitenwände flimmern, zeigen wie viele andere Versionen ihrer selbst noch möglich sind. Zig verschiedene Nedsreals laufen über die Seitenwände und zeigen sich. So viel ließe sich mit diesen Haaren anstellen. So viel ließe sich mit diesen Haaren ausdrücken. Immer wäre es auch eine Ansage an die Gesellschaft.
Kann man sich neu erfinden? Ist Empowerment durch Styling möglich? Oder bedient man damit nur die Erwartungen der Anderen?
Wann entspricht man nur den fremden Schönheitsidealen? Wann mischen sie sich mit rassistischen Wahrnehmungen?
Ein Ring, an dem rundherum Schnüre befestigt sind, wird von der Decke herabgesenkt. Nedsreal stellt sich darunter und knotet jeden einzelnen ihrer Zöpfe an die Schnüre, so ihre Zöpfe wie eine direkte Verbindung zum Himmel wirken. So mit Inspirationen versorgt, rappt sie zum Thema Styling von schwarzen Haaren. Was kann frau alles mit ihnen anstellen? Wozu dienen sie? Welcher Zuschreibung unterliegen sie?
Danach wickelt sie sich aus einem bühnenlangen Tuch einen Turban. Würdevoll schreitet sie damit in die Mitte und erläutert die Bedeutung der schwarzen Haare, deren Präsenz, Kraft und Stärke herausfordern.
Im letzten Teil ihrer Performance ist sie die Hauptdarstellerin in ihrer Nasheeka-Nedsreal-Compagnie. Auf den Seitenwänden dancen alle Versionen ihres Alter Egos ab, mal poplike, mal ironisiert, mal hiphopstylisch, mal frei improvisiert. Für das Schlussbild setzt sich Nedsreal auf einen Hocker und fängt an, ihre Zöpfe zu lösen. Eingeflochtene Kunststrähnen fallen zu Boden und kurze helle Haare bleiben übrig.
Nedsreal spielt in ihrer Performance "New Growth" im Ballhaus Naunynstraße geschickt mit Requisiten, die die Fantasie im Kopf der Zuschauer*innen in Gang setzen. Sie durchwandert mit leicht ironischem Unterton die verschiedenen Erwartungshaltungen der Umwelt, der Gesellschaft, der Traditionen, aber auch des Selbstbildes, unterläuft sie gekonnt und überrascht mit immer neuen Bildern.
Birgit Schmalmack vom 20.10.20
Abbildung: New Growth im Ballhaus Naunynstraße - İZé de Paiva
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